Im Jahr 1985 machen sich vier Franken in ihren Zwanzigern in einem zum Wohnmobil umgebauten Mercedes 508D auf den Weg, um den afrikanischen Kontinent zu durchqueren.
Gaby Reuß erzählt in ihrem Reisebericht von der abenteuerlichen Tour durch Wüste, Urwald und spektakuläre Landschaften im südlichen Afrika. Nach acht Monaten erreichen sie das Zielland: Südafrika, damals noch unter dem Apartheidregime. Da ein Mitreisender aus familiären Gründen die Reise vorzeitig beenden musste, sind sie jetzt zu dritt unterwegs: Gaby, ihre Freundin Christine und deren Lebensgefährte Hermi.
In drei Auszügen berichtet Gaby für Kap Express von den zwei Monaten, die sie in Südafrika verbrachten.
Südafrika, September/Oktober 1985
Teil 3: Von Kleinmond nach Kapstadt und Umgebung
Als wir am Sonntagnachmittag durch das Dorf Kleinmond fahren, bemerkt Hermi, dass wir einen Platten haben… Neben uns stoppt ein Auto, ein älteres Paar und ein junger Mann begrüßen uns auf Deutsch und bieten uns Hilfe beim Reifenwechsel an. Es entwickelt sich ein lebhaftes Gespräch mit ihnen, sie sind vor vier Jahren von der Schweiz nach Südafrika ausgewandert.
Sie laden uns zum Kaffeetrinken ein, erzählen von ihrem Alltag und versuchen, uns zu überzeugen: „Wieso wollt ihr nach Deutschland zurück? Bleibt doch zumindest über den Winter in Südafrika!“ Ja, das wäre das eine Überlegung wert…Natürlich freut man sich auf daheim, Familie und Freunde wiedersehen, aber wehe, wenn der Alltag beginnt! Schlechtes Wetter, womöglich arbeiten – oh Graus! Zum Glück ist das alles weit weg… wir genießen den Aufenthalt bei den sehr netten Leuten, über dem Erzählen ist es Abend geworden, es hat also keinen Sinn mehr, weiterzufahren und wir können den Bus zum Übernachten in den Garten stellen.
Der Tag X, 16. 09.85: Heute kommen wir ans Ziel der Reise: Kapstadt!
Es geht die Küstenstraße entlang, links das tiefblaue Meer, rechts grüne Berghänge, die manchmal fast bis an den Strand reichen. Die Straße windet sich um Bergeinschnitte, führt an Buchten entlang, azurblauer Himmel – eine wahre Pracht! Und jeder Kilometer bringt uns Kapstadt näher… kaum zu fassen, dass wir dieses langersehnte, sagenhafte Ziel heute erreichen!
Während wir so durch die herrliche Landschaft düsen, erinnere ich mich daran, wie oft wir schon an unserer Ankunft hier zweifelten – im Niger, als wir nicht wussten, wie wir nach Kamerun kommen sollten, in Zaire, wo wir ständig um das Auto bangten, als die großen Pannen mit den Blattfedern passierten…
Bei der Fahrt an der False Bay entlang entdecken wir unten im Wasser einen Schwarm Seehunde, sie liegen auf dem Rücken, die Flossen nach oben gestreckt, schaukeln sie auf der Wasseroberfläche und lassen sich von der Sonne bescheinen. Angesichts der Rückenlage ruft Christine entzückt aus: „Die liegen im Wasser wie die Gaby!“ – ja, auch ich bevorzuge diese bequeme Lage – der Unterschied ist nur, dass die Seehunde die Arme nicht hinter dem Kopf verschränken können. Über die Bucht hinweg sehen wir Berge, an deren Fuß ein Nebelschleier schwebt – die Kaphalbinsel.
Nach den kleinen Orten Gordons Bay und Strand erreichen wir die N2, die nach Kapstadt führt. Die Spannung steigt – noch 50 Kilometer! In der Ferne sehen wir Berge, zwei spitze Gipfel, dazwischen ein Plateau – ob das schon der Kapstadter Tafelberg ist? Auf der N2 verdichtet sich der Verkehr, wir nähern uns dem (endgültig identifizierten) Tafelberg, passieren Townships mit Wellblechhütten. Wir umfahren den Berg, sehen ein Häusermeer vor uns, klein wirken sie, nur in der Innenstadt ein paar Hochhäuser, der Hafen mit seinen langen Kais, Hafenbecken, Kränen, Containern. Ruckzuck sind wir in der City angelangt, strahlen um die Wette vor Freude, dass wir in Kapstadt angekommen sind!
Beim Stadtbummel passieren wir die beeindruckende City Hall: ockerfarben, mit Säulen und einem Uhrturm, besuchen in der Burgstraße die deutsche Buchhandlung, machen Halt beim exklusiven Kaufhaus Stuttaford’s, erstehen leckere Samosas.
Beim Herumkurven durch die engen Straßen betrachten wir die Mischung aus alter und neuer Architektur, kommen bis zu einem Tor mit hohen weißen Säulen, über dem in rosarot die Aufschrift „Mount Nelson Hotel“ prangt. Hier sind wir richtig, wir sollen ja Jochen, der hier als Koch arbeitet, von einem früheren Arbeitskollegen grüßen.
Christine zweifelt, ob wir mit unseren nicht gerade salonfähigen Klamotten überhaupt eingelassen werden, schließlich ist das ein Superluxushotel, das erste Haus am Platze. Wir fahren geradewegs durch den von Säulen gerahmten Eingang auf ein rosafarbenes Gebäude zu, umgeben von Rasen und Palmen. Hui, geht’s hier vornehm zu! Die Einrichtung im Stil der Jahrhundertwende, Kronleuchter aus Glas, Teppichboden in dezentem rotbraun und ruhigem Grün.
Eine Angestellte gibt dem Koch telefonisch Bescheid, es kommt ein Mann mit dunklen, kurzen Haaren und nicht gerade wenig Bauch. Freundlich begrüßt er uns, lädt uns in sein Häuschen ein, das inmitten eines kleinen Gartens hinter dem Hotel liegt. Jochen ist Küchenchef und wohnt seit 18 Jahren beim Hotel. Schön ist es hier, kaum zu glauben, dass man sich mitten in der Stadt befindet, nur Grün außen herum und keinerlei Verkehrslärm. Die Häuschen stammen, wie das Hotel, aus dem Jahr 1885, haben hohe Räume, altmodische Türen und Fenster zum Hochschieben, wie in England.
…
Um einen Eindruck von der Stadt bekommen, chauffiert Jochen uns in seinem Auto auf den Signal Hill, der 350 m hoch ist und einen herrlichen Rundblick bietet: landeinwärts das Massiv des Tafelberges, begrenzt von Lions Head auf der einen und Devils Peak auf der anderen Seite. Unterhalb von Signal Hill und Tafelberg breitet sich die Stadt aus, zwischen den kleinen Baukästchen der Häuser glitzern die Scheiben der Autos im Sonnenlicht. Wir haben einen exzellenten Blick über die Kapstadter Bucht, das Hafenbecken, den Bergzug der Kaphalbinsel – welch traumhafte Kulisse! Anschließend geht es hinunter nach Camps Bay, an den Berghängen stehen exklusive Villen, was Jochen mit der Bemerkung „da wohnen die ganz Armen!“ kommentiert.
Erfreulicherweise hat Jochen an diesem Abend keinen Dienst – Arbeit halst er sich trotzdem auf: er bekocht uns. Es gibt Schweinebraten mit Klößen und Sauerkraut, mei schmeckt das gut! Wir sitzen auf der Terrasse, haben Ausblick auf den Tafelberg, es ist warm, der blühende Hibiskus verbreitet einen intensiven Duft – was geht’s uns guut!
Am Morgen fahren wir auf den Signal Hill, finden unterhalb des offiziellen Aussichtspunkts einen sichtgeschützten Platz, frühstücken bei grandioser Aussicht auf Tafelberg, Stadt und Meer. Am Hang stehen Bäume, die alle zu einer Seite geneigt sind, in den dichten Büschen brummen Insekten. Wir sitzen im Schatten, lesen, schreiben, schauen. Hermi beobachtet durch das Fernglas ein Schiff, das auf den Hafen zufährt und von einem kleinen Kutter ins Hafenbecken geschleppt wird. Was für ein Ausblick – hier werden wir in Zukunft auch übernachten!
Nachmittags bummeln wir zum Blumenmarkt an der Adderley Street, es duftet herrlich. Später besuchen wir in Kirstenbosch den Botanischen Garten, bewundern die Wildblumenausstellung und die Nationalblume Südafrikas.
Abends strahlt Kapstadt als riesiges Lichtermeer unter uns: lange Reihen weißer und gelber Straßenlampen. Die Lichter flimmern, erhellen den Nachthimmel.
Die nächsten Tage erkunden wir Stadt, besuchen Museen, gehen in Sea Point an der Promenade spazieren, machen einen Ausflug nach Blouberg Strand. Hier ziehen sich Dünen mit feinem, fast weißem Sand entlang, donnernde Wellen kommen auf den Strand zu, das Wasser ist tiefblau. Der Blick von hier auf die Stadt ist atemberaubend, der majestätische Tafelberg, über dem dicke Wolken hängen. Links der Devils Peak, rechts Lion Head und „unser“ Signal Hill, darunter die so klein wirkende n Gebäude der City.
Anders als in europäischen Medien dargestellt, kann man sich in Kapstadt und Umgebung frei bewegen, von Unruhen ist nichts zu spüren. Südafrikaner berichten, dass diese hauptsächlich in den Townships vorkommen und es dabei häufig um Streit zwischen verschiedenen Volksgruppen geht. Auch der Devisenhandel hat sich beruhigt, Geldtausch ist wieder problemlos möglich, zu immer noch günstigem Kurs für uns.
In den folgenden Wochen erkunden wir die Umgebung: Stellenbosch, Franschhoek, Paarl, besuchen das Afrikaans- und das Hugenottendenkmal. Wir beobachten Wale, machen einen Ausflug zur Pinguinkolonie, besuchen die nette Familie in Kleinmond, mit ihnen unternehmen wir eine Wanderung auf den Tafelberg, die anstrengend, aber wunderschön ist – der Ausblick von dort oben entschädigt für die Mühe und den Muskelkater am nächsten Tag!
Ein besonderes Highlight ist der Besuch der Kaphalbinsel. am Eingang des Good Hope National Park, werden wir leider kräftig zur Kasse gebeten: 8 Rand Eintritt. Unsere arme Reisekasse… Die Straße führt durch hügeliges Gebiet mit üppigem Pflanzenbewuchs in leuchtendem Grün, des Öfteren sieht man Antilopen oder Springböcke.
Die Halbinsel wird schmaler, bald gibt es rechts und links nur noch die Weite des Atlantiks.
Die Küste ist steil, zwischendurch sind immer wieder wunderschöne Sandstrände zu sehen, in den Buchten schimmert das Wasser hellgrün. Wir erreichen einen großen Parkplatz, neben dem Curio Shop führt eine Straße steil bergauf zu verschiedenen View Points. Von hier aus blickt man auf den berühmten Cape Point, ein hoher, vorspringender Felsen, um den Möwen in halsbrecherischem Flug segeln. Über Stufen geht es weiter nach oben, es weht heftiger Wind.
Zurück am Parkplatz sehen wir, dass bei einem in der Nähe geparkten Mercedes ein Fenster offen ist – und Affen sind im Anmarsch! Sie entern sofort das Auto, machen es sich auf den Sitzen bequem und kauen auf allem herum, was drinnen zu finden ist – der Besitzer wird sich freuen!
Plötzlich kommt ein Riese von Affe an, saust ins Auto, verprügelt die Genossen und verscheucht sie. Hermi will das Spektakel fotografieren, doch als er sich dem Auto nähert, kommt der alte Affe drohend zum Fenster geklettert: es ist wohl nicht ratsam, dem zu nahe zu kommen.
Am Nationalparkeingang biegen wir in Richtung Westen ab, um uns bei der Rückfahrt die andere Seite der Küste anzuschauen.
Zunächst geht’s durch begrünte Hügel mit wildwachsenden Blumen, bald kommen Farmen, wir fahren durch herrliche Alleen, zwischendurch immer wieder Braai-Plätze. Ab Noordhoek beginnt der Chapmans Peak Drive, die in den Fels geschnittene Küstenstraße mit herrlichem Ausblick aufs Meer. Unten prallen die Wellen auf die Felsen, wir halten ständig an, um Fotos zu machen und können uns kaum sattsehen.
Über Hout Bay geht’s weiter am Meer entlang, an den „12 Aposteln“, einer mächtigen Bergkette vorbei und durch Camps Bay und die ganze Stadt, um zu unserem Platz auf dem Signal Hill zu gelangen. Schon während der Fahrt haben wir die untergehende Sonne bewundert – jetzt wird das Bild immer faszinierender: breite Wolkenstreifen ziehen vom Meer herein und werden von der Sonne beleuchtet, gelb, rosa, orange und blau schimmert der Horizont – unglaublich schön!
…
Beim deutschen Konsulat erkundigen wir uns, ob es deutsche Firmen gebe, die Mitarbeiter suchen, man sagt uns, dass es momentan ganz schlecht mit Stellen sei Wir tauschen die letzten Travellerschecks, die restlichen 50 DM Bargeld behalten wir als „eiserne Reserve“. Es ist wunderschön in Kapstadt, aber angesichts des Geldmangels müssen wir uns Gedanken machen, wie es weitergehen soll. Drei Möglichkeiten stehen zur Wahl: sich ernsthaft um Jobs bemühen und hier zu bleiben, als zweites, den Bus verkaufen und damit den Heimflug zu finanzieren, oder versuchen, ein Schiff zu finden, das uns mit nach Europa nimmt. Wir diskutieren hin und her, können uns aber zu nichts so richtig entschließen. Hermi fragt beim Groote Schuur Hospital, berühmt von der 1967 erstmals erfolgreich durchgeführten Herztransplantation, nach Arbeit und bekommt sogar einen Job angeboten – aber leider ist er zu schlecht bezahlt, um davon in Südafrika leben zu können.
…
Es meldet sich ein Interessent, der den Bus kaufen möchte… doch bei längerem Nachdenken wird uns bewusst, dass wir unser Wüstenschiff ja lieber mit nach Hause nehmen würden. Wir haben so viele schöne und so manche schreckliche Stunde mit dem Wohnmobil verbracht – wir können uns nicht von ihm trennen.
Daher geht es eines Morgens zum Hafen, um nach Möglichkeiten einer Schiffspassage zu schauen. Im Hochhaus des Port Captains begrüßen uns drei freundliche Südafrikaner. Eine Liste über die nach Europa fahrenden Schiffe gibt es leider nicht, aber wir können jederzeit in den Hafen kommen und uns bei den Frachtern nach einer Passage erkundigen.
Jeden Morgen schauen wir nun vom Signal Hill mit dem Fernglas zum Hafen, und sobald wir einen Frachter erspähen, fahren wir hinunter. Doch ein ums andere Mal bekommen wir dieselbe Antwort: ein entschiedenes Kopfschütteln des Kapitäns auf unsere Frage, ob er „working passengers“ und unser Wohnmobil mit nach Europa nehme. Das Risiko sei viel zu groß: würde einer von uns krank, müsste das Schiff außertourlich einen Hafen anlaufen, so ein Tag koste etwa 5500 $ – wer zahle das? Könnten wir es nicht, schiebe es die Reederei natürlich auf den Kapitän. So ziehen wir jedes Mal erfolglos von dannen und verbringen noch eine Nacht auf dem Signal Hill.
Um Geld zu sparen, ernähren wir uns hauptsächlich von den noch aus Deutschland stammenden Vorräten aus der Dose: Gulasch, Pichelsteiner, Tütensuppen. Pfefferminztee statt leckerem südafrikanischem Wein… Die Unternehmungen beschränken sich auf Kartenspielen, Spaziergänge in der Stadt, Besuch von kostenlosen Museen.
Endlich, eines Tages erklärte sich der Kapitän eines koreanisch-panamaischen Dampfers bereit, uns drei als Passagiere mitzunehmen – die große Frage ist jedoch: wird es gelingen, auch unseren Bus unbeschadet an Bord zu hieven?
Den gesamten Reisebericht gibt es hier:
Mit ungenauem Kartenmaterial und vagen Routenbeschreibungen machen sich im Jahr 1985 vier junge Deutsche in einem zum Wohnmobil umgebauten Mercedes 508D auf den Weg von Deutschland nach Kapstadt. Sie werden beim Geldschmuggel erwischt, durchqueren die Sahara, sind tagelang mutterseelenallein im Urwald unterwegs. Sie begegnen meist freundlichen und hilfsbereiten Menschen, aber auch betrunkenen Grenzbeamten. Gaby Reuß erzählt, wie es war, zu viert (zuweilen auch zu sechst) auf 10 qm im Bus zu leben. Vom unbeschreiblich schönen Lebensgefühl, abends verschwitzt aber glücklich in die Weite des afrikanischen Himmels zu schauen.
Gaby Reuß: Zehn Monate durch Afrika, BoD – Books on Demand, Norderstedt, 2017
ISBN: 9783746029863
Taschenbuch, 308 S.,15,95 Euro. E-Book: 5,99 Euro
Autoreninfo:
Gaby Reuß, Jahrgang 1961, aufgewachsen in Franken, lebt seit 1984 in München. Nach der Ausbildung zur Bürokauffrau erwarb sie auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur und absolvierte ein Geographiestudium. Beruflich und privat war sie auf allen Kontinenten unterwegs und verfasste Reiseberichte. Nach wie vor ist sie gern auf Reisen und führt Reisetagebuch, sei es bei einer Radtour durchs Salzburger Land, auf dem Hausboot durch Frankreich oder bei der nächsten Reise nach Südafrika…