Am Malawi-See – eine Erinnerung an ein Abenteuer im Jahr 1981 – Peter und Ulla Wulf starten mit ihrem alten Bundeswehr-MAN, einem zum Wohnmobil ausgebauten 13 Tonnen schweren Lastwagen, im Jahre 1985 in Hamburg. Ihr Ziel ist das Kap der Guten Hoffnung. Ihr Begleiter: der Kater Niger, schnurrig, mutig und verfressen.
Ursula Wulf – 1986: Vom Meru-Nationalpark in Kenia bis an den Malawi-See lassen wir wieder einige Buchseiten aus. Wir überspringen den Amboseli-Park, in dem es sogar Geoparden gibt (siehe Buch Seite 236). Dann den Tsavo-Park mit den glasklaren Mzima Springs, einen Aufenthalt am Indischen Ozean, eine weggespülte Brücke in Tansania, eine Bewährungsprobe für den MAN, der eine schier unglaubliche Schlammdurchfahrt zu bewältigen hat … und landen endlich in Malawi am wunderschönen Malawi-See, wo unsere Schutzengel Überstunden machen mussten, als direkt neben uns ein Landrover in Flammen aufging. All diese Episoden sind im Buch nachzulesen.
Auf der Suche nach einem Platz zum Übernachten fahren wir eine Piste, die wir bei unserer ersten Afrika-Durchquerung 1981 auch genommen haben, und halten nach einigen Kilometern neben einem großen Mangobaum. Die Piste, die hier an den See führt, macht auf der rechten Seite einen kleinen runden Bogen. Dieser Bogen führt um ein wohl 10 Meter langes und immer noch ca. einen Meter tiefes Loch herum: unser Buddel-Loch von vor fünf Jahren!
Donnerstag, 16. April 1981
Peter, Kater Niger und ich sind am späten Nachmittag auf dem Weg zum See, als es den MAN plötzlich mit aller Kraft nach links reißt. Aber die Piste ist doch fest und trocken, was ist das denn? Wir steigen aus: Die Reifen auf der Fahrerseite sind durch eine dünne, scheinbar feste Schicht in den Matsch eingebrochen, der darunter nicht zu sehen war. Der MAN hängt bis zur Stoßstange drin.
Naja – schaufeln, Sandleitern unterlegen – das sieht zwar nach etwas Arbeit aus, aber wir kriegen das schon hin. Peter und ich starten also eine größere Grab- und Wühlaktion. Mit Einbruch der Dunkelheit überfallen uns Schwärme von Moskitos und fressen uns fast auf. Heute wird es nichts mehr; wir säubern uns notdürftig und setzen uns in unsere sehr schrägen Betten. Einigermaßen schlafen können wir trotzdem.
Freitag, 17.April 1981
Mit Anbruch der Helligkeit sind wir auf den Beinen, frühstücken kurz und buddeln dann wieder. Viele Afrikaner haben sich eingefunden, sie stehen um den MAN herum und amüsieren sich königlich. Ich grabe und grabe und mein Hals wird immer dicker, die spinnen wohl. Ich stelle mich empört vor sie hin und halte ihnen eine Ansprache, in der die Wörter „Hilfsbereitschaft in Notlagen, hier aber wohl eher nicht“, „sehr enttäuscht“ und „lieber flugs nach Hause gehen“ vorkommen. Wende mich wütend wieder dem MAN und meiner Schaufel zu und arbeite weiter.
Ich höre die Männer hinter mir murmeln, dann tritt einer neben mich, nimmt mir die Schaufel aus der Hand und sagt „let me help you“. Nach einer weiteren Minute helfen insgesamt acht Männer.
Peter wühlt wie ein Stier. Mit dem Wagenheber bekommt er den MAN etwas hoch, die Männer legen Reifen und Kanister unter. Als der Wagenheber durchbricht, kann Peter gerade noch seine Hand unter dem Aufbau hervorziehen – Mann, das war Glück!
Vom Campingplatz ein paar Kilometer entfernt kommen zwei Südafrikaner mit einem Toyota und einem Range Rover, die versuchen wollen, den MAN aus dem Schlamm zu ziehen. Trotz Zuhilfenahme eines Greifzugs hat sich der eine nach dem Ende der Hilfsaktion seine Seilwinde kaputtgemacht und dem anderen ist der Abschlepphaken zusammen mit einem Stück von der Karosserie herausgerissen. Bloß der MAN hat sich keinen einzigen Zentimeter bewegt; er ist eher noch tiefer in den Schlamm gesackt.
Unsere malawischen Helfer, Peter und ich wühlen weiter. Ich liege stundenlang auf dem Bauch unter dem Auto und hole den Schlamm mit den Händen heraus. Eine Schaufel kann ich nicht mehr halten, weil in meiner rechten Hand eine große Blase aufgegangen ist. Der Schlamm kühlt ein wenig; es wird nur unangenehm, wenn Steinchen drin sind.
Ein VW-Bus kommt angefahren. Der Fahrer ist ein netter älterer Herr, Hans aus Holland, der schon seit 14 Jahren in Malawi lebt und in Blantyre eine Fabrik leitet. Hier am See, erzählt er uns, wollte er eigentlich ein Erholungswochenende verbringen. Er hat Gudrun und Wolfgang mitgenommen, die per Anhalter unterwegs sind. Die drei helfen uns spontan: Hans und Wolfgang fahren zur nächsten Kleinstadt und wollen einen Traktor organisieren. Gudrun krempelt ihren langen Rock hoch, spuckt in die Hände und greift sich eine Schaufel. Ich schlaffe langsam ab.
Nach einiger Zeit kommen Hans und Wolfgang zurück, gefolgt von einem filigranen Traktor. Der Traktorfahrer ist sternhagelvoll, bemüht sich, ungefähr in unsere Richtung zu lächeln, schwankt sogar im Sitzen und meint, daschkrignwirschonnn!
Hans organisiert noch einen kleinen Lastwagen. Der MAN ist inzwischen ziemlich freigeschaufelt und vorn durch unsere große Zahnstangenwinde abgestützt. Das ist ein mindestens einen Meter hohes, dreißig Kilo schweres Hebewerkzeug mit Stahlkurbel auf der einen und Hubklaue auf der anderen Seite; auch “Daumenkraft“ genannt.
Mit diesem Teil kann man aufgrund einer enormen Übersetzung Riesengewichte hochheben, z. B. unseren MAN. Wir sind recht zuversichtlich, das wird schon klappen! Traktor und Lastwagen ziehen nach hinten, die Malawier schieben den MAN von vorn, soweit es in dem Matsch möglich ist. Es gibt einen Ruck und der MAN rutscht von der Stahlwinde herunter. Das Vorderrad und die ganze linke Seite bohren sich tiefer als vorher in den Schlamm. Oh, so ein Mist! Die ganze Plackerei war vergebens, was machen wir jetzt bloß?
Zu allem Übel müssen wir auch noch feststellen, dass heute nicht irgendein Freitag, sondern Karfreitag ist und es vor Dienstag nicht möglich sein wird, von irgendeiner offiziellen Stelle Hilfe zu bekommen. Hans hatte inzwischen alle seine Beziehungen spielen lassen und sogar bei der Eisenbahngesellschaft in Monkey Bay nachgefragt. Aber Ostern läuft nichts, wir müssen warten.
Wir sind verdreckt, zerkratzt, todmüde und verzweifelt und wissen momentan nicht, was wir als nächstes tun sollen. Jetzt übernimmt Hans das Kommando: Er heuert für den MAN einen Wächter an, lädt Gudru
n, Wolfgang, Peter und mich in seinen Bus und fährt mit uns zu einer 50 km entfernten Hotelanlage mit Campingpark, wo wir duschen können. Warm. Was für ein Luxus! Im Restaurant des Hotels lädt Hans uns anschließend zu einem leckeren Essen ein.
Als wir zum MAN zurückfahren wollen, guckt Hans auf die Tankanzeige des VW-Busses. Oh Schreck – das Benzin ist alle! Die Tankstelle ist geschlossen und auch im Hotel lässt sich kein Sprit beschaffen.
Also müssen wir hier irgendwo schlafen; bloß wo? Das Hotel ist ausgebucht. Hans kann in seinem Bus schlafen, und einer der Angestellten lässt uns bei sich zu Hause übernachten. Er stellt uns vieren zusammen ein kleines Zimmer mit zwei schmalen Betten zur Verfügung. Alles ist einfach, aber sauber und es kostet auch nicht gar zu viel.
Peter und ich werden in unserem Bettchen an alte Zeiten erinnert: auch hier müssen wir uns immer gemeinsam herumdrehen, damit keiner aus dem Bett fällt, und die Federn knarren bei jeder Bewegung.
Sonnabend, 18. April 1981
Morgens um sieben Uhr haben wir uns mit Hans vor dem Hotel verabredet, der jedoch nicht erscheint. Peter und Wolfgang gehen zum Campingplatz, wo sich unsere Vermutungen bestätigen: Hans ist gerade noch vom Platz heruntergekommen, dann war der Tank restlos leer. Die Jungs schieben den Bus den ganzen Weg zum Hotel, und das noch vor dem Frühstück!
Danach bemühen wir uns um Hilfe: Erst um einen Bulldozer, der aber leider kaputt ist, dann beim Militär um schweres Geschütz. Aber dort sind momentan nur zwei Landcruiser stationiert, und wir bräuchten mindestens einen Panzer. Immerhin findet Hans heraus, hinter welchem Fenster der Tankwart schläft und überredet ihn mit einem guten Trinkgeld, ihm auch an seinem freien Tag Benzin zu verkaufen. Nachdem der Tank gefüllt ist, folgt Peter einer Eingebung und guckt in den Reservekanister des VW-Busses: er ist bis obenhin voll. „Godverdomme!“ flucht Hans und haut sich auf die Stirn, dass es nur so klatscht.
Jetzt aber zurück zum MAN und vor allem zu Niger! Unser Auto bietet mit seiner Schräglage im Matschloch einen traurigen Anblick. Der Wächter begrüßt uns und meint, alles sei in Ordnung, keine weiteren Vorkommnisse. Peter schließt die Tür auf, der Kater liegt auf der Sitzbank und pennt. Als wir ihn rufen, guckt er total verschlafen aus der Wäsche und kommt dann über das ganze Gerümpel, das im Auto verstreut ist, angetapert. Er ist heilfroh, dass wir wieder da sind, und am allerfrohesten, weil ich ihm von meinem englischen Frühstück eine gebratene Wurst mitgebracht habe. Da er seit gestern früh nichts zu essen bekommen hat, verdrückt er die Wurst laut schnurrend in nur zwei Minuten.
Hans, unser guter Engel, stellt uns sein Zelt zur Verfügung und fährt uns zum Campingplatz in Cape Maclear. Wir schlagen das Zelt an einem kleinen Strand in der Nähe dieses Platzes auf; die Männer fahren zurück zum MAN. Peter und ich sind froh, dass wir unsere Kawasaki, ein kleines Geländemotorrad, dabeihaben. So können Gudrun, Niger und ich hierbleiben; Peter und Wolfgang fahren mit der Kawa „zur Arbeit“. Gudrun verbindet meine aufgescheuerte Hand und schickt mich ins Bett bzw. auf die Luftmatratze. Ich erwache ein paar Stunden später von einem herrlichen Kaffeeduft, sehe Gudrun draußen mit dem Gaskocher und der Kaffeekanne hantieren und fühle mich schon fast wieder wie im Urlaub.
Sonntag, 19. April 1981
Von wegen Ostereier suchen! Wir denken nicht mal dran. Peter hat inzwischen eine größere Arbeitsmannschaft angeheuert. Zehn Männer schwingen die Schaufeln und graben Morast, zehn flechten sich dicke Grasnester, legen sie zum Schutz auf ihre Köpfe und transportieren darauf große Steine aus den nahen Bergen. Sechs Männer holzen kleinere Bäume ab. Der MAN wird mit der „Daumenkraft“ hochgekurbelt, die Stämme und Steine wandern in die Buddellöcher. Peter senkt das Fahrzeug auf die Steine und alles verschwindet wieder im grundlosen Schlamm.
Am Abend wagt Peter einen neuen Versuch. Der MAN bewegt sich tatsächlich drei Meter zurück, dann steckt das Vorderrad wieder tief im Morast. Große Enttäuschung! Doch jetzt haben die Hinterräder festen Grund, so dass wir morgen eine neue Chance haben, herauszukommen. „Das ist doch eine reine Fleißaufgabe,“ meint Peter kurz vor dem Einschlafen, „Matsch rausbuddeln, Löcher mit Steinen und Hölzern auffüllen, Fahrzeug drauf, wieder neue Steine ins Loch und irgendwann ist das Ding mal voll und wir kommen raus.“ Dreht sich um und schläft voller rechtschaffener Zuversicht sofort ein. Ich zähle anstelle von Schäfchen Steine und kann dann auch ganz gut schlafen.
Montag, 20. April 1981
Wir erwachen früh um sechs Uhr. Der Himmel ist dunkelgrau und dicht bewölkt. Wenn es jetzt anfängt zu regnen, kriegen wir den MAN überhaupt nicht mehr raus, meint Peter, während er in aller Eile ein Brötchen herunterschlingt.
Hastig springt er auf die Kawasaki und gibt Gas. Übersieht eine straff gespannte Zeltschnur, bleibt mit dem Hals daran hängen und wird vom Motorrad gefegt. Bewegungslos bleibt er im Gras liegen; ich kriege einen Riesenschreck und renne zu ihm. Da liegt mein Mann mit einem dicken roten Peitschenhieb quer über dem Hals, ist aber bei Bewusstsein. Als er sich hochrappelt, meint er, dass er sich nur deswegen nicht bewegt hätte, weil er vor Wut kotzen wollte. Puh, ein Glück! Der zweite Anlauf klappt dann ganz zivilisiert und unfallfrei.
Mittags kommt Peter wieder angeknattert. Seine Arbeitstruppen hatten ihn am Morgen schon an der Baustelle erwartet und waren voller Zuversicht. „We bring you out; today we bring you out!“ verspricht der Vorarbeiter.
Der Wagen ist jetzt am Mittag weit hochgekurbelt, unter den Reifen liegen viele dicke Steine, und wir hätten wohl eine Chance, meint Peter. Wir fahren zum MAN: der steht auf einer unglaublichen Bretter-Balken-Bäume-Steine-Konstruktion. Peter startet den Motor, seine 26 Angestellten schieben mit aller Kraft, Peter fährt an – der MAN bewegt sich aus dem Loch heraus und steht wieder aufrecht auf festem Grund. Die Malawier jubeln und tanzen, Peter steht ununterbrochen auf der Hupe und ich sitze im Gras und heule vor Erleichterung.
Jetzt bezahlt Peter seine fleißigen Helfer. Den größten Teil der Arbeiter sieht man nun im Gänsemarsch und im Galopp über ein Feld rennen, in die Richtung, wo die Dorfkneipe sich befindet. Der harte Kern der Mannschaft bleibt und hilft noch mit, die Sandleitern geradezubiegen und auf dem Dach zu verzurren. Auch die Kawa wird wieder im Innenraum verstaut. Gaaanz vorsichtig fährt Peter nun vom Ort der Schande weg, das riesige Loch gähnt uns wie ein Krater hinterher.
Wir baden im See, in dem außer dem Schmutz auch unsere ganze Anspannung bleibt, und feiern dann mit Hans, Gudrun und Wolfgang ganz feudal mit viel Bier und jeder Menge Ingwerkekse. Mindestens genau so glücklich wie wir ist Niger, der Zelten doof fand und seinen MAN seit Tagen gesucht hatte. Er krabbelt in die Unordnung im Wageninneren, rollt sich zusammen, schnurrt noch einmal laut und schläft zufrieden ein.
Genau sieben Stunden, nachdem der MAN aus dem Schlammloch herausgekommen ist, fängt es wie aus Kannen an zu gießen.
Mehr demnächst auf Kap Express: „Am Ziel“
Peter und Ulla
Heute leben wir (KFZ-Meister i.R. und Heilpraktikerin) in einem Dorf in der Nähe von Mölln, fahren immer noch gern nach Afrika und sind ansonsten in einem Wohnmobil nach unserem Geschmack unterwegs.
Lesen sie die ganze Story: Immer wieder Afrika, Autorin: Ursula Wulf, ISBN: 978 383 910 4750