Der Tschad – Land im Bürgerkrieg – Peter und Ulla Wulf starten mit ihrem alten Bundeswehr-MAN, einem zum Wohnmobil ausgebauten 13 Tonnen schweren Lastwagen, im Jahre 1985 in Hamburg. Ihr Ziel ist das Kap der Guten Hoffnung. Ihr Begleiter: der Kater Niger, schnurrig, mutig und verfressen.
Auf dem Weg nach Osten, in Richtung Tschad, holen uns eines Abends Colla (eigentlich Cornelia) und Udo mit ihrem roten Toyota ein, die wir noch aus Tamanrasset kennen. Wir hatten seinerzeit locker abgemacht, eventuell den Tschad gemeinsam zu durchqueren, sofern wir uns rechtzeitig wieder treffen. Jetzt suchen wir einen Übernachtungsplatz und berichten von unseren Erlebnissen. Da Peter der Magenschmerzen hat und ich eine Art Grippe, gibt Udo einen heißen Tipp: “Muscht nur Knoblauch esse!” schwäbelt er voller Überzeugung. Und haut sich eine komplette Knoblauchzwiebel aufs Brot. Wie gut, dass der Toyota etwas entfernt parkt!
Am 31.12. fahren wir nur bis zum frühen Nachmittag und stellen uns dann unter einen großen Baum weitab von der Straße, um das alte Jahr ruhig ausklingen zu lassen. Nach kurzer Zeit wird unsere Gruppe verstärkt durch Christian und Christian, zwei junge Männer, die mit einem betagten Land Rover unterwegs sind. Wir sechs sitzen um ein großes Lagerfeuer herum und tauschen bis 5 vor 12 Geschichten und Erlebnisse aus. Dann wird flugs eine Flasche Sekt entkorkt und der große Baum mit bunten Papierschlangen verziert. Ob sie wohl zu Haus jetzt alle an uns denken? Bis 2 Uhr nachts halten wir es noch draußen aus und nehmen dann einen total eingestaubten Kater mit herein. Niger hat dunkle Augenringe, denn er hat 10 Stunden am Stück angestrengt in Mäuselöcher gestarrt.
In den folgenden Tagen kommen wir zu der Überzeugung, dass wir sechs wahrscheinlich ein gutes Team abgeben werden. Tagsüber stimmt der Fahr- und Pausenrhythmus überein; abends sitzen wir immer gemütlich am Lagerfeuer und erzählen stundenlang. Wir wollen die Tschad-Durchquerung also zusammen in Angriff nehmen.
Die Piste beginnt gleich sehr sandig; gut, dass wir den Luftdruck in den Reifen schon gesenkt haben! Wann genau man den Niger verlässt und im Tschad ist, kann niemand sagen. Die Grenze – nicht markiert – ist irgendwo “la bas”. Eine Streckenmarkierung an der weichsandigen Piste gibt es nicht, aber wir können uns ganz gut nach den Spuren der Fahrzeuge richten, die irgendwann vor uns hier durchgekommen sind.
Im Schein des abendlichen Lagerfeuers sehen wir, dass eine Gottesanbeterin, ein ca. 10 cm langes Insekt, von Peter begeistert ist. Sie krabbelt an ihm hoch. Uncharmant streift er sie ab, denn er weiß, dass Gottesanbeterinnen nach der Hochzeit ihre Männer auffressen. Daraufhin zieht sie beleidigt davon und sucht sich einen anderen.
Colla und ich backen Brot und die Jungs ruhen sich vom anstrengenden Fahren aus. Bis auf Krischan. Der backt auch Brot, füllt den Teig in eine Blechdose und vergräbt sie unter dem Lagerfeuer. „So macht man das nämlich!“ gibt er bekannt. Nach einem ziemlich langen und gemütlichen Abend fällt ihm seine Brotdose wieder ein.
Er buddelt sie aus, reißt voller Vorfreude den heißen Deckel auf – und schimpft wie ein Rohrspatz über den steinharten schwarzen Klumpen in der Dose. Nachher ist der Abend aber doch noch gerettet, denn unter der verbrannten Kruste ist ein leckeres Brot entstanden. Da strahlt Krischan wieder!
Am nächsten Morgen, als wir beim Frühstück sitzen, sind die Temperaturen noch so niedrig, dass wir ernsthaft überlegen, eine Jacke anzuziehen. Doch kurze Zeit später wird es warm und wärmer, und alle Fliegen des Tschad kommen, um uns zu ärgern. Mit einer gewissen sadistischen Freude verteilen wir Fliegenpatschen; jeder Treffer wird begeistert gemeldet.
So, alle sind fertig. Das denken wir jedenfalls, bis Krischan beim Land Rover einen Federbruch feststellt. Alle tragen es mit Fassung; keiner meckert über die Verzögerung. Die Männer springen in ihre Overalls und beheben den Schaden gemeinsam. Um die Mittagszeit herum können wir los. Es ist extrem heiß und windstill. Wir trinken Unmengen während des Tages; wir dörren fast schneller aus, als wir trinken können.
Inzwischen fahren wir theoretisch schon mitten durch den Tschad-See, der jedoch durch starke Austrocknung viel kleiner ist als auf den Karten angegeben. Wasser ist weit und breit nicht zu sehen. Da die Piste von einer sandigen Insel zur nächsten führt und die tiefsten Weichsandfelder an den Steigungen liegen, haben die Autos hart zu kämpfen. Trotzdem bleiben die Schaufeln, wo sie sind: fest verzurrt im Wageninneren.
Zum Nachmittag hätten wir dann gern etwas Gebäck, bloß woher nehmen? Not macht ja bekanntlich erfinderisch, und so backe ich in einem Spezialtopf über der Gasflamme einen Kuchen aus gekochtem Reis, Eipulver, Backpulver, Zucker und Rosinen. Die Christians haben noch einen Esslöffel Margarine übrig, das muss genügen. Während sich langsam herrliche Düfte verbreiten, mahle ich Kaffee. Eine einfache Arbeit, die bei der herrschenden Hitze doch zur schweißtreibenden Aktion wird.
In der Ferne hören wir Motorgeräusche. Peter hält von einem Hügel Ausschau und entdeckt den blauen Hanomag mit Silke, Hans und Roland, die wir in Niamey kennengelernt haben. Die drei kommen gerade rechtzeitig zum Kaffee. Roland, der Bayer, bringt nach einem Bissen Reiskuchen (bei dem ein dreiviertel Stück verschwindet) alles auf einen Nenner: “Jo, dös is pfundig!”
Abends am Lagerfeuer holt Hans seine Gitarre hervor und improvisiert aus dem Stegreif eine Moritat über “Peter Wulf, den Zerstörer des Tschad, mit seinem Kater Grausewicht. Er kommt mit einem MAN daher, der einen Lärm macht wie aus 17 Auspuffrohren – Morgens herrschte fassungsloses Entsetzen, denn sie erblickten einen Leichnam, zerfetzt, zerrissen: eine Maus!” Zwischendurch entgleisen uns allen die Gesichtszüge, so müssen wir lachen.
Um 6.15 bläst Krischan auf seiner Trompete zum Wecken. Kurze Zeit später sitzen wir mehr oder weniger verschlafen an den Frühstückstischen. Alle in dicken Jacken, denn es sind nur 10 Grad. Keine Fliegen! – denen ist es zu kalt.
Während des Frühstücks fliegen viele Geier und Raben um uns herum. Ein paar große Schildraben beschimpfen den Kater. Er macht einen Angriff auf einen von ihnen, aber der startet durch und fliegt eine völlig respektlose Schleife dicht über Nigers Kopf. Nun ist der Rabe ja kaum kleiner als Niger, mit ausgebreiteten Flügeln sogar eher größer – aber Niger sieht das ganz anders. Der Typ ist ein Vogel und daher doof. Er zahlt es dem Raben heim mit einem Riesenbuckel und einem Schwanz wie eine Flaschenbürste. Kampflustig stiefelt er den Baum hoch, auf dem die Raben sich niedergelassen haben. Kurz bevor er den ersten erreicht hat, fliegen sie alle weg. Jetzt ist dem Katz der Tag verdorben – er geht ins Bett.
Wir kommen recht flott los; wieder sind lange Pistenabschnitte äußerst sandig. Einen ganz hinterhältigen Sandberg packt der MAN erst beim vierten Anlauf. Der Hanomag sucht sich eine weite Umgehung, der Toyota und der Land Rover werden vom MAN mit der Seilwinde den Berg heraufgezogen.
Oben angekommen, sehen wir, dass wir einen Zuschauer hatten: in einem wagenradgroßen Nest hoch in einer struppigen Akazie hockt ein fast ausgewachsenes Geierlein und linst interessiert über den Rand.
Die Landschaft besteht seit Tagen aus großen Hügeln (den ehemaligen Inseln im jetzt ausgetrockneten See), die mit trockenen Bäumen und dornigen Sträuchern bestanden sind, sowie aus Sand, Sand, Sand. Im Gestrüpp turnen ein paar bunte Vögel; einige fliegen ein Stück mit.
Endlich wieder Kontrollen!
Erst kurz vor Bol ändert sich die Landschaft, denn hier gibt es Wasser und die Büsche sind üppig grün. Gemüsefelder wurden angelegt; unter Palmen stolzieren Kronenkraniche herum. Eine endlose Wasserfläche glitzert in der Sonne und erstreckt sich bis zum Horizont: der Tschad-See!
In Bol empfangen uns lauter fröhlich winkende Strahlemänner. Die Herren vom Militär weisen uns einen schattigen Parkplatz unter hohen Bäumen zu; einer erklärt uns den Ablauf der Formalitäten: erst zur Polizei “la bas” in dem weißen Haus, dann zum Zoll daneben, dann zur Sûreté gegenüber, dann zurück zum Militär.
Wir nehmen es ergeben zur Kenntnis und machen uns auf den Weg über den großen sandigen Platz zur Polizei. Die Luft flimmert und der Sand strahlt die Hitze zurück, denn inzwischen brennt die Sonne wieder so intensiv wie immer. Kurz vor dem Ziel fällt Peter ein, dass wir unser Zolldokument für den MAN, das Carnet, im Auto vergessen haben. Also stapft er zurück durch den Sand und holt es.
Bei der Polizei nimmt man unsere Pässe in Empfang, schreibt in diverse Bücher und schickt uns zwischendurch schon mal zum Zoll. Da sitzt ein netter Mensch, lässt sich die Carnets aushändigen und schreibt sie in sein Zollbuch ab. Ein Hilfspolizist kommt herein und zitiert uns zurück zur Polizei. Sofort bitte.
Dort sieht uns der dicke Chef sorgenvoll an und fragt, wer von uns Frauen denn diejenige mit der Cholera ist? (Die drei vom Hanomag hatten vor zwei Tagen unterwegs behauptet, dass Silke die Cholera hat, um keine Soldaten mitnehmen zu müssen). Woher wissen die das?
Wir tun maßlos überrascht und wundern uns ausgiebig. Von uns ist das niemand, wir sehen doch alle ganz gesund aus, oder? Lauter fröhliche, optimistische Gesichter gucken betont harmlos den Polizeichef an. Der möchte unsere Impfpässe sehen, die wir natürlich nicht dabeihaben. Peter marschiert leise nörgelnd zurück über den heißen Sandplatz und holt sie.
Wir werden vorläufig als cholerafrei angesehen und können beim Zoll mit dem Eintragen der Carnets fortfahren. Außerdem sind pro Carnet 1.000 CFA (ca. sieben Mark) Gebühr zu bezahlen, was uns umständlich quittiert wird.
Nach einer Stunde Schreibarbeit bauen wir uns wieder vor dem Polizeichef auf. Der hat zwei Männer vom Roten Kreuz aufgetrieben, die sich misstrauisch die Impfpässe ansehen. Nun gibt Hans alles zu und erklärt: “Die mit der Cholera, das ist schon Silke, aber die hat natürlich überhaupt keine Cholera.” – Der Chef bekommt lauter bunte Ringe in den Augen -. Nein, fährt Hans fort, er hat vor zwei Tagen den Soldaten doch nur gesagt, Silke hätte eventuell Cholera. Wie waren doch alle erleichtert, als sich der Verdacht als Irrtum herausstellte! Treuherzig und unwahrscheinlich ehrlich guckt Hans aus der Wäsche. Der eine vom Roten Kreuz bestätigt, dass Silke wirklich nicht nach Cholera aussieht.
Jetzt ist der Chef überzeugt und lässt uns ziehen. Die Impfpässe bleiben aber vorerst noch hier; die kann nachher, wenn wir bei der Sûreté fertig sind, einer von uns abholen. Warum? Das fragt man in Afrika nicht. Womöglich ist es Gesetz?
Der Chef und einzige Mitarbeiter der Sicherheitspolizei ist sehr freundlich und schreibt ein ganzes DIN-A-4-Blatt mit Fragen voll, die wir abschreiben und mit unseren Daten vervollständigen müssen. Dann will er pro Person zwei Passbilder haben. Also stapft Peter über den heißen sandigen Platz… er muss lange suchen im Auto und dampft ziemlich (auch seelisch), als er mit den Bildern zurückkommt.
Ein Passbild muss auf das soeben erstellte Dokument geheftet werden; auf die Rückseite des anderen ist der Name, die Adresse und das heutige Datum zu schreiben. Der Beamte guckt sich alles noch einmal an, fragt nach unseren Berufen und beginnt dann ein privates Gespräch. Wir staunen: er weiß viel über die alten griechischen Philosophen, deutsche Geschichte und über Gott und die Welt. Und – wir staunen erneut – er fragt, ob irgendein offizieller Staatsdiener Geld oder Geschenke von uns gefordert hat. Denn, so erklärt er uns, die Regierung des Tschad wünsche nicht, dass Touristen von korrupten Beamten belästigt werden.
Wir beschweren uns über den Zollchef aus dem ersten Dorf. Ah, der. Der ist ihm bereits durch seine Sauferei unangenehm aufgefallen. Er macht sich Notizen und schreibt uns vorsichtshalber seinen Namen auf, damit wir nach ihm schicken können, falls es gleich mit dem Militär Ärger gibt.
Aber mit denen gibt es keinen Ärger. Die ziehen einfach unsere Pässe ein und geben kurz und bündig bekannt, sie würden jetzt Mittagspause machen und die Bearbeitung anschließend fortsetzen. Wir sollen um 15 Uhr wiederkommen. Jetzt ist es 13 Uhr; die ideale Zeit, um die Bar aufzusuchen und ein großes, kaltes Bier zu trinken. Die landesübliche Bierflaschengröße ist 0,7 Liter, es schmeckt herrlich erfrischend. Aus den Lautsprechern dröhnt Five Miles Out von Mike Oldfield – wir können es hier aushalten!
Durch die glühende Mittagshitze sieht man anschließend neun leicht angeheiterte Personen zu den Fahrzeugen zurückgehen. Wir essen eine Kleinigkeit und setzen uns vor den Autos in den Schatten. Die Zeit schreitet munter fort. Fünf Minuten vor halb vier öffnet das Militär seine Tür. Wir haben keine Lust zur Hektik und bleiben sitzen. Sollen die doch jetzt warten!
Der Herr General schimpft zu uns herüber, wenn wir nicht sofort anrollen, würde er sein Büro gleich wieder schließen. Na gut, wenn er es so eilig hat, raffen wir uns auf und schlendern mal rüber.
Er trägt mit wichtiger Miene unsere Pässe in verschiedene Bücher ein. Dann will er unsere Impfausweise und 95 andere Papiere sehen. Also stapft Peter durch die Hitze über den sandigen Platz… und hat kleine schwefelgelbe Wolken, Häufchen und Wutkringel über dem Kopf, denn die Tasche mit den bereits dreimal kontrollierten Papieren haben wir im Auto gelassen und die Impfpässe muss er bei der Polizei abholen. Ich freue mich, aber natürlich nur nach innen, dass ich fürs Sprechen zuständig bin und Peter fürs Stapfen.
Anschließend durchsucht das Militär gründlich alle Autos und findet unseren Signalstift, den wir als Waffe für den Ernstfall dabeihaben. Mit diesem Stift, der aussieht wie ein Kugelschreiber, ist es möglich, Phosphor- oder Knallpatronen abzufeuern. Der General triumphiert und nimmt den Stift an sich. Wir reden zwar zu fünft auf ihn ein, doch es hilft nichts: der Stift ist weg. Der ist zu militärisch, meint der General. Das heißt übersetzt: so einen wollte er schon immer mal haben.
Nun will er noch ein Cadeau; aber ich entgegne, er hätte ja schon den Stift und mehr Cadeau gäbe es nicht. Mit bösem Gesicht gibt er unsere Pässe zurück. “Sie sind fertig! Sie können gehen!” Da man nie weiß, welche Hinterhältigkeiten er noch ausheckt, verzichten wir auf eine Beschwerde beim Sûreté-Beamten (was soll’s auch, wir sind eben in Afrika) und sehen lieber zu, dass wir fortkommen. Von anderen Reisenden hören wir später, dass sie zwei oder sogar drei Tage in Bol festgehalten wurden. Da haben wir mit einem Tag für neun Personen doch noch ganz gut abgeschnitten!
An den Ausläufern des Tschad-Sees vorbei fahren wir noch acht Kilometer aus Bol heraus. Das Wasser glitzert in der tiefstehenden Sonne. In der Sumpfzone am Rand staksen langbeinige Wasservögel umher. Wie gern würde ich den Anblick gebührend genießen, aber mein Kopf ist durch das mittägliche Bier so groß geworden, dass er fast nicht mehr in den MAN passt. Bei Sonnenuntergang ist Schluss für heute. Als ich wegen der dröhnenden Kopfschmerzen eine Aspirin Tablette nehme, wird mir speiübel. Wahrscheinlich ist heute nicht mein Tag; ich gehe ins Bett.
Peter rechnet den heutigen Spritverbrauch des MAN aus: 65 Liter auf 100 km. Ganz schön viel, meint er.
Spritverbrauch am nächsten Tag: 95 Liter auf 100 km für den MAN! Auch die drei anderen Fahrzeuge verbrauchen Dieselmengen, von denen jeder Tankstellenbesitzer nur träumen kann. Die heutige Tagesleistung beträgt 30 Kilometer. Soviel schon einmal vorweg.
Wir sind den ganzen Tag in Aktion. Ganz unglaublich sandige Steigungen müssen überwunden werden. Einige Male muss der MAN die anderen Autos mit der Seilwinde hochziehen, weil sie schon im ersten Drittel hoffnungslos steckenbleiben. Die Piste verändert sich ständig: mal Tiefsand, mal Weichsand, mal Flugsand. Wir schaufeln pausenlos die kleineren Fahrzeuge aus dem Sand und schieben mit vereinten Kräften. Peter meckert über den MAN, der ihm zu langsam ist und bekommt von mir eine Rede gehalten über ein Fahrzeug, welches (bis auf einen Ausrutscher unter dem Baum vorgestern) nicht einsandet, überall hoch- und durchkommt und der Retter für Land Rover, Toyota und Hanomag ist. Soll er nun etwa auch noch fliegen können? Naja, so gesehen hast du Recht. Siehste!
Ab und an kommen wir durch Dörfer, wo viele kleine Kinder wieder einmal nichts Tolleres kennen, als sich in Trauben hinten an die Autos zu hängen, wenn die sich langsam durch den Sand wühlen. Dem MAN ist das egal, aber die anderen haben durch die zusätzliche Belastung ganz schön zu kämpfen.
In einem Dorf gibt es neu installierte Wasserpumpen (von UNICEF), so dass beim Toyota und beim Land Rover die Wasservorräte ergänzt werden können. Außerdem kaufen wir frisches, warmes Brot. Es ist voller Sand und knirscht zwischen den Zähnen; aber der Geschmack ist ausgezeichnet.
Abends, am Lagerfeuer, sind wir alle ziemlich geschafft und erzählen uns gegenseitig Horrorgeschichten. Je schrecklicher die werden, desto mehr müssen wir lachen. Oder sollte das am irischen Whiskey liegen, den Krischan herumreicht?
Begräbnis einer Steckachse
Die Trompete weckt uns in aller Frühe. Beim Frühstück draußen sind nur 12 Grad, aber dafür liegen die Fliegen noch alle steifgefroren in den Ecken. Ich habe mir die Haare gewaschen, frisches Zeug und weiße Socken angezogen. Fünf Minuten nach dem Losfahren führt die Piste durch 100 m grauen Staubsand, so fein wie feinstes Weizenmehl. Die Wolken schlagen über den Autos zusammen. Ich habe dunkelgraue Socken an und gleichmäßig grau gepuderte Haare.
Wieder ist die Piste sehr sandig. Wir buddeln hier mal mit und schieben da, haben aber selbst keine Hilfe nötig. Das Team funktioniert prima; jeder fasst mit an, keiner drückt sich vor der Arbeit.
Nach 25 km bricht beim Land Rover, genau an einer sandigen Steigung, eine Steckachse. Woraufhin Peter einige Bemerkungen über Land Rover im Allgemeinen und die Firma British Leyland im Besonderen von sich gibt, die er lieber British Elend nennt. Tja, traurig… Krischan holt seine Trompete, stellt sich gerade hin und bläst den Trauermarsch. Wir stehen still und hören ihm mit zuckenden Mundwinkeln und gesenkten Köpfen zu; Silke nimmt ergriffen ihren Hut ab. Die herbeigeeilten Einwohner des nahen Dorfes wundern sich, als neun Touristen – eben noch ausgesucht feierlich – nach Beendigung des Trompetensolos in brüllendes Gelächter ausbrechen und sich gegenseitig auf die Schenkel hauen.
Dann wird stundenlang repariert. Als der Landy wieder flott ist, muss er gleich mit der Seilwinde den nächsten Sandberg hochgezogen werden, der Hanomag kommt als nächster dran. Obwohl der Luftdruck in den Reifen bereits auf absolut grenzwertige 0,4 Atü gesenkt wurde, schafft er den Berg nicht aus eigener Kraft. Kein Wunder, denn der Hanomag hat nicht die übliche Einzelbereifung mit recht breiter Auflagefläche, sondern er ist hinten zwillings- und vorn einzelbereift und zwar, wie Peter leise bemängelt, mit Original-Teewagenrädern. Bis vor wenigen Jahren war der Tschad übrigens für Durchreisende geschlossen; man fuhr über Nigeria nach Kamerun. Nigeria hat jetzt jedoch wegen innenpolitischer Schwierigkeiten alle Grenzen geschlossen; der Tschad hat seine geöffnet. So ist der Tourismus noch etwas Neues in diesem Land. Die Leute sind zwar verständlicherweise neugierig, aber freundlich und aufgeschlossen.
Wie ein Volksfest entsteht
Während unserer Mittagspause kommt nach und nach die Bevölkerung eines ganzen Dorfes daher, stellt sich zu uns und guckt sich alles genau an. Die Frauen sind in wallende bunte Tücher gehüllt, haben eine kaffeebraune Haut und lachen gern. Ein paar von ihnen haben ebenmäßige, feingeschnittene Gesichter und sind ausgesprochen schön.
Ein netter Mann bringt uns eine überdimensionale Wassermelone als Geschenk. Und übrigens, man hätte da noch ein krankes Kind… “Tut uns leid, Monsieur, wir sind keine Ärzte!” “Meine Freunde“, sagt der Mann resignierend, “hier gibt es keine Ärzte. Könnt ihr nicht versuchen, zu helfen?”
Wir sehen uns das Mädchen an. Es ist wohl ein Jahr alt, wird von der Mutter aus einem großen Tuch gewickelt, mit dem es auf deren Rücken gebunden war, und brüllt lautstark aus vollem Halse. Man erklärt uns, es hätte Durchfall und möge nichts essen. Nach kurzem Rat der Weisen rühren wir Kamillentropfen an, die eventuell helfen und ganz bestimmt nicht schaden, reichen der Mutter den Becher und sagen ihr, sie solle dies dem Kind zu trinken geben. Da die Kleine freiwillig nichts trinkt, hält die Mutter sie auf den Rücken und gießt die Tropfen einfach in den zum Brüllen weit geöffneten Mund. Harte Sitten. Das Kind hustet und würgt, hat aber ca. 1/3 des Becherinhaltes geschluckt.
Ein weiteres Drittel bekommt ein anderes Kleinkind auf dieselbe rabiate, aber wirksame Art und Weise. Den Rest trinkt ein Zweijähriger tapfer ganz allein aus. Das Lob von allen Seiten macht ihn sichtlich stolz, gleichzeitig dreht er vor Verlegenheit mit dem Fuß.
Wir geben der Mutter die Kamillentropfen und etwas Aufbaunahrung. Ein junger Mann bittet um Hustensaft und bekommt ihn auch. Nun können wir zum gemütlichen Teil übergehen. Mit Luftballons, Polaroid Fotos und Seifenblasen entsteht schnell lustige Volksfeststimmung.
Hans holt Wunderkerzen und zündet eine an. Der kleine Junge, der die erste zum Halten bekommt, guckt erst total begeistert. Je näher jedoch der brennende Teil seinen Fingern kommt, desto skeptischer wird der Gesichtsausdruck. Er kann sie doch nicht einfach wegwerfen, dann lachen die anderen womöglich. Das erleichterte Gesicht, als die Kerze rechtzeitig erlischt, sorgt wieder für allgemeine Heiterkeit. Einem Kind fliegt der Luftballon in den Dornenbaum, der nächste Ballon geht durch eine heiße Wunderkerze kaputt. Bei jedem Knall lachen sie sich halb tot.
Nach geraumer Zeit verabschieden wir uns von unseren neuen Freunden und fragen uns von Dorf zu Dorf nach Ndjamena, der Hauptstadt des Tschad, durch.
Irgendwo neben der Piste halten wir abends an und sammeln Holz. Ein Mann, der des Weges kommt, sieht das und bringt uns ein Riesenstück Holz zum Verheizen. Einfach nur so, aus Nettigkeit. Wir bedanken uns, er nickt freundlich und geht weiter in sein Dorf. Nun knistert das Feuer und verbreitet wohlige Wärme. Hans spielt Gitarre, Krischan bläst dazu Trompete und Roland Mundharmonika. Diese gemeinsamen Abende sind immer ganz besonders schön – man muss es erlebt haben!
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Peter und Ulla
Heute leben wir (KFZ-Meister i.R. und Heilpraktikerin) in einem Dorf in der Nähe von Mölln, fahren immer noch gern nach Afrika und sind ansonsten in einem Wohnmobil nach unserem Geschmack unterwegs.
Lesen sie die ganze Story: Immer wieder Afrika, Autorin: Ursula Wulf, ISBN: 978 383 910 4750