Räubernest und Katzen-Fundort: Niamey – Peter und Ulla Wulf starten mit ihrem alten Bundeswehr-MAN, einem zum Wohnmobil ausgebauten 13 Tonnen schweren Lastwagen, im Jahre 1985 in Hamburg. Ihr Ziel ist das Kap der Guten Hoffnung. Ihr Begleiter: der Kater Niger, schnurrig, mutig und verfressen.
Ursula Wulf – Ich kann vor Aufregung nicht mehr schlafen und stehe im ersten Morgengrauen auf; schließlich bekommen wir in Niamey postlagernd das erste Mal Briefe von zu Haus! Peter prüft noch schnell das Motoröl und muss beim Blick unter die Motorhaube leider feststellen, dass ein Keilriemen fast durchgescheuert ist und sich außerdem verdreht hat. Wenn wir schon mal früh loswollen. Mit Höchstgeschwindigkeit behebt er den Schaden so weit, dass wir wenigstens bis Niamey fahren können. Da trudeln wir um zehn Uhr ein und parken den MAN direkt vor der Post. Hach, ist das alles aufregend! Am Poste Restante Schalter sind tatsächlich acht Briefe und zwei Päckchen für uns angekommen!
Die Päckchen sollen wir beim Zoll in der Post gleich öffnen. Wir müssen lachen, denn auf ein Paket hat meine fürsorgliche Mutter gut leserlich auf Deutsch geschrieben: “Lieber Zoll! Bitte nichts rausnehmen, ist für Ulla und Peter zum Advent.” Duftende selbstgebackene Makronen sind drin, zu Weihnachten. Ach ja, Weihnachten – hatten wir fast vergessen. Bei den Temperaturen kein Wunder. Im Sauseschritt geht es zum Auto, wo die ganze Post begeistert gelesen wird. Ist das ein Fest! Natürlich probieren wir gleich ein paar von den knusprigen Makronen. Als wir uns fertig gefreut haben, laufen wir wieder zurück zur Post, um zu telefonieren. Schon nach 10 Minuten ist die Verbindung nach Hamburg hergestellt; meine Tante kann uns gut verstehen. Nun wissen zu Hause innerhalb der nächsten Viertelstunde sicher alle, dass es uns gut geht.
Unter nicht unerheblicher Belästigung durch mehrere laute, aufdringliche Andenkenverkäufer schlängeln wir uns durch das bunte Gewimmel zum Markt. “Madame, Monsieur! Kaufen sie dieses Schwert! Echt Tuareg-Arbeit, antik!” Der kleine Mann im weißen Burnus sieht uns eindringlich an und präsentiert eine Fließbandarbeit, die wohl ein paar Wochen irgendwo eingegraben war, um antik zu wirken. “Monsieur, wir möchten nichts kaufen. Danke.” Aufgeregt kommt ein baumlanger Kerl in einer Art hellblauem Nachthemd auf uns zugestürzt: “Ich habe hier einen Dolch. Einmalige Gelegenheit. Ein sehr wertvolles Einzelstück!” “Nein, danke, wir haben schon einen Dolch.” “Aber Madame, so etwas bekommen sie kein zweites Mal, ich lasse es ihnen billig, nur 150 Mark!” (umgerechnet). Aber wir kaufen heute wirklich nichts.
Während der erste Verkäufer immer noch sein antikes Schwert anpreist und unser “nein” überhört, wendet sich der zweite einem Schweizer zu und wiederholt seinen Spruch. Wir bleiben stehen und beobachten den Handel, der jetzt lebhaft geführt wird. Zum Schluss hat der Schweizer den einmaligen Dolch für nur 20 Mark erstanden und steckt ihn sich stolz in den Gürtel. Neben dem Verkäufer hält ein Auto. Ein dunkler Arm streckt sich aus dem Fenster und gibt ihm einen Dolch. Sicher ein höchst seltenes Einzelstück…
Beim Bäcker gibt es für 50 Pfennige heiße Baguettes. Da der Score Supermarkt über Mittag geschlossen ist, bringen wir die obligatorische Anmeldung bei der Polizei hinter uns und beantragen bei der entsprechenden Behörde eine Genehmigung, die alle schweren Fahrzeuge benötigen, welche den östlichen Teil des Niger in Richtung auf den Tschad durchqueren wollen.
Noch ein kleiner Stadtbummel, und wieder, wie vor fünf Jahren, fasziniert uns Niamey. Dieses Gewimmel von buntgekleideten Leuten, die klettenartigen Andenkenverkäufer, die schwerbeladenen Kamele, die tausend kleinen Stände auf dem Markt mit Obst, importierter Trockenmilch, Eiern, Gewürzen und Fleisch. Wenn der Verkäufer die Fliegen fortwedelt, kann man sogar sehen, um welches Fleisch es sich handelt. Wir kommen uns vor wie Karl May – unter Geiern. Gar zu viele junge Männer bemühen sich betont harmlos, einen raschen Blick in unsere Tasche zu werfen oder gehen höchst interessiert dort gucken, wo wir auch gerade etwas ansehen.
Der Supermarkt öffnet. Wohlhabende Afrikaner, hier lebende Europäer und kleine Taschendiebe drängeln sich herein. Wehe dem, der nicht gut auf sein Portemonnaie aufpasst! Die Preise im Score sind unbeschreiblich hoch, weil die meisten Sachen per Flugzeug aus Frankreich kommen.
Ein paar Beispiele: für eine große Dose Aprikosen zahlt man 6,50 DM, eine Flasche Wein kostet 25 DM, 1 kg Äpfel 12 DM. Die hier arbeitenden Europäer bekommen entsprechende Gehälter, um sich all diese Dinge kaufen zu können. Wir leider nicht. Aber einen Becher Joghurt muss ich trotzdem haben und auch ein Pfund Butter aus der Normandie zu sieben Mark.
Beim Fleisch können wir richtig zuschlagen, denn das sieht ordentlich aus und kostet nicht viel; kommt ja auch nicht aus Frankreich, sondern von der Weide um die Ecke. Ein Kilo Rumpsteak ist für 14 Mark zu haben.
Da wir in Niamey nicht sicher im Fahrzeug übernachten können (hier sind nächtliche Überfälle und organisierte Raubaktionen ganz normal), steuern wir einen Campingplatz am Stadtrand an. Einen ganz besonderen Campingplatz, denn hier haben wir vor fünf Jahren unser Katerchen gefunden. Die winzigen Bäume von damals sind inzwischen ganz schön gewachsen und geben ausreichend Schatten.
So ein afrikanischer Campingplatz ist übrigens nicht wirklich mit einem europäischen Platz zu vergleichen. Hier ist es eben ein großer Platz, meistens staubig, steinig und / oder schmutzig, auf dem den Reisenden und ihren Fahrzeugen ein Eckchen zugewiesen wird. Mit Glück kann man unter einem Baum stehen.
Manchmal sind die Plätze eingezäunt und dann auch bewacht. Die Sanitärräume sind einfachst ausgestattet mit ein paar Duschen und Plumpsklos. Eventuell sind sie sogar sauber, meistens aber nicht. Bevor man einen Raum betritt, guckt man gründlich in die Runde und einigt sich dann mit Spinnen, Geckos und anderen krabbeligen Bewohnern, wer zuerst in die Dusche darf. Wenn aus der Dusche dann auch Wasser kommt, ist der Luxus perfekt.
Der Kater, der sonst immer aus dem Auto sprintet, sobald wir die Tür öffnen, sitzt in der offenen Aufbautür, macht ein recht nachdenkliches Gesicht und will nicht rauskommen. Ob ihm etwas längst Vergangenes einfällt? Nach langem Zögern traut er sich aber doch und erkundet die Bäume rund ums Auto, um herauszufinden, an welchem man am besten kratzen kann.
Wir können uns noch gut an den 14. November 1980 erinnern. Die Bäume auf diesem Platz waren so klein, dass sie keinen Schatten gaben; der MAN war das einzige Fahrzeug hier. Die Schreie der Bussarde, die hoch über dem Platz kreisten, hörten sich an wie Katzenmiauen. Als abends Fledermäuse um die Laternen an der Straße huschten, riefen die Bussarde immer noch.
Moment mal – Vögel sind doch im Dunkeln nicht mehr unterwegs? Peter geht in die Richtung, aus der die Schreie kommen. Da vorn im Baum wird der Vogel wohl sitzen. Aber er hat den Baum noch längst nicht erreicht, als die merkwürdigen Töne hinter ihm ausgestoßen werden. Irgendetwas bewegt sich auf ihn zu. “Ulla, Ulla, komm mal schnell mit der Taschenlampe!”
Im Lichtkegel hockt auf dem Sandboden ein winziges Wesen. Da wir hier schon Kaninchen auf dem Platz gesehen haben, halten wir es zuerst für ein Kaninchenjunges. Aber doch nicht – was ist das bloß?
Schnell in den MAN damit, da ist es heller. Ach herrjeh, dieses Häufchen Elend sollte wohl mal eine Katze werden. Was für ein jämmerlicher Anblick! Das Tierchen ist noch so klein, dass es bequem in einer Hand Platz findet. Es besteht aus Knochen mit etwas Fell darüber. Das Fell ist verklebt, verdreckt und zerzaust. Das Kätzchen schwankt und wackelt mit dem Kopf. Große hellblaue Augen sehen uns erschöpft an.
Wir (eigentlich Hundefreunde) hatten keine Wahl; schließlich konnten wir den kleinen Dreckspatz ja nicht einfach liegen lassen. Schnell wurde ein Schälchen Milch angeboten, aber unser Neuzugang war zu schwach zum Trinken. Peter hatte die rettende Idee: man nehme aus der gut ausgestatteten Bordapotheke eine Injektionsspritze, anstelle der Nadel ein Stück weiche Kunststoff-Ummantelung von der Wäscheleine, und fertig ist die Nuckelflasche.
Das Kätzchen in meiner Hand sträubte sich anfänglich gegen die ungewohnte Art des Trinkens, so dass erst einmal die Milch entweder in den Ohren landete oder am Hals entlanglief. Nachdem jedoch der erste Tropfen – wohl mehr zufällig – in dem protestierend geöffneten Mäulchen gelandet war, kam das große Begreifen. Aha, das kann man trinken!
Satt und vollkommen k.o. ließ sich der Kleine von mir mit einem feuchten Tuch notdürftig reinigen. Peter hatte schon einen Pappkarton mit einem weichen Pulli ausgelegt, aber das Katerchen kam erst zur Ruhe, als mir etwas einfiel, was ich einmal als Kind in einem Comic-Heft gelesen hatte: unter den Pulli legten wir unseren Wecker. Tick-tack, tick-tack machte es ganz leise durch den Pulli, und das Katzenkind fühlte sich nicht mehr so allein in seinem Karton und schlief ruhig ein.
Nachts um drei Uhr dann ungewohnte Töne im MAN: Hunger! Niger, schon getauft, bekam noch einmal die Flasche, fraß sich am übernächsten Tag mit Leberwurst einen kleinen Trommelbauch an, krabbelte auf meinen Fuß, rollte sich zusammen und schlief zufrieden ein. Und ich stand gerührt da und mochte mich nicht von der Stelle bewegen.
Mehr demnächst auf Kap Express: Der Auszug 8 “Der Tschad – Land im Bürgerkrieg”
Peter und Ulla
Heute leben wir (KFZ-Meister i.R. und Heilpraktikerin) in einem Dorf in der Nähe von Mölln, fahren immer noch gern nach Afrika und sind ansonsten in einem Wohnmobil nach unserem Geschmack unterwegs.
Lesen sie die ganze Story: Immer wieder Afrika, Autorin: Ursula Wulf, ISBN: 978 383 910 4750