Friday, December 1, 2023
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Urlaub im Elend

Wellblechhütten, zerfetzte Kleider, Kinder, die im Matsch spielen und Drogen-Gangs in dunklen Häuserecken das ist unser Bild von Slums, den Elendsvierteln großer Städte.

pm – Irgendwie sind sie abstoßend und anziehend zugleich, die Favelas in Rio de Janeiro, Kapstadts Townships und die Armenviertel von Nairobi, Mumbai, Bangkok und all den anderen Millionenmetropolen der Entwicklungs- und Schwellenländer.

Laut dem Weltsiedlungsgipfel der Vereinten Nationen, UN-HABITAT, lebten 1990 mehr als 721 Millionen Menschen in Slums. Im Jahr 2010 waren es bereits 1,15 Milliarden, für 2020 werden 1,47 Milliarden Slumbewohner prognostiziert.

Slumtourismus, der Drang, mehr sehen zu wollen von den gesellschaftlichen Randschichten, erlebt in den vergangenen Jahren einen wahren Trend. Mehr als eine Million Touristen dürfte es mittlerweile jährlich geben, schätzt Professor Malte Steinbrink vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück, der das Phänomen Slumming seit einigen Jahren untersucht.

Allein in Südafrika, dem Hotspot des internationalen Slumtourismus, gehen pro Jahr etwa 500.000 bis 800.000 Menschen auf Slumtour.

Was fasziniert so sehr am Elend anderer Steinbrink ist sich sicher: Touristen suchen in ihrem Urlaub etwas, was sich von ihrem eigenen Alltag unterscheidet und noch dazu absolut authentisch ist. Prinzipiell gehe der Reisende immer erst einmal davon aus, dass die Dinge im Urlaub für ihn inszeniert seien.

Bei der Hula-Hula-Tänzerin auf Hawaii vermutet er, dass sie sich die Blume vielleicht nur für ihn als Touristen ins Haar gesteckt hat, sagt Steinbrink. Aber die Pestbeule im Gesicht des indischen Bettlers ist authentisch, echt indisch. Armut fungiert als Authentizitätsgarant, für ein Erleben jenseits der touristischen Inszenierung.

Der Slum war seit jeher der Ort des gesellschaftlichen Anderen, sagt er.

Im viktorianischen London, wo der Slumtourismus vor 150 Jahren seinen Anfang nahm, war es das unmoralische Andere, das die Bessergestellten im East End bei der Lower Class fanden. Später in den USA lockte das ethnische Andere in Stadtteilen wie Little Italy oder Chinatown. Und jetzt ist es das lokale Andere im globalisierten Kontext.

Die Innenstadt von Kapstadt sieht für den Touristen im Prinzip genauso aus wie die Innenstadt von San Francisco, die großen Unterschiede scheinen zu verwischen. Hochhäuser, Starbucks, und McDonalds gibt es überall. Deshalb gelte der Township in Südafrika als der Ort, wo man das wirkliche Afrika noch erleben könne, die Favela in Rio zeige das wirkliche Brasilien und der Slum in Mumbai das echte Indien.

Mittlerweile ist Slumtourismus zu einem Mainstream-Pänomen geworden. Der einst im Vordergrund stehende politische Aspekt wurde ersetzt durch den kulturellen. Die Menschen interessiert, wie andere leben und was ihr Umfeld ausmacht. Auf den Touren werden Hilfsprojekte und soziale Einrichtungen, Märkte, Medizinmänner und traditionelle Kneipen besucht. Auch die typischen Wellblechhütten stehen natürlich auf dem Programm. Werden wir damit zu Voyeuren des sozialen Elends

Vielleicht vielleicht aber auch nicht. Die Touranbieter jedenfalls haben sich Marketingstrategien überlegt, mit denen die Touristen auch künftig ohne schlechtes Gewissen angelockt werden sollen. Sie werden vom Voyeur zum Kulturreisenden und Entwicklungshelfer. Gucken nicht einfach arme Menschen an, sondern studieren deren authentische Lebensweise und helfen, indem sie für soziale Projekte spenden und kleine Wirtschaftskreisläufe in Gang setzen, sobald sie vor Ort etwas Handgemachtes, zu essen oder trinken kaufen.

Slumtouren sind intensive Erlebnisse
Das Image des Slums verbessert sich durch solche Touren enorm. Steinbrink und seine Kollegen wissen das aus Umfragen unter Touristen vor und nach dem Slumbesuch. Da stehen zunächst vor allem enorm negative Aspekte im Vordergrund: Armut, Kriminalität, Krankheit, Hunger. Bilder des Schreckens beherrschen die Vorstellungen. Nach der Tour nannten sie allerdings vornehmlich Dinge wie Lebendigkeit, ein starkes Gemeinschaftsgefühl, Fröhlichkeit, Freundlichkeit, Tradition und kulturelle Vielfalt. Bilder einer bunten, quirligen, teilweise kindlich-naiven Exotik.

Die meisten Touristen beschreiben die Touren als sehr intensive Erlebnisse. Interessanterweise entspricht das, was sie dort erleben, offenbar nicht dem, was sie dort zu erleben erwartet haben. Enttäuscht seien sie aber nicht, eher erfüllt und teilweise erleichtert.

Und was sagen die Bewohner der Slums dazu Ihre Sichtweisen sind sehr unterschiedlich. Einige finden es positiv, dass die Öffentlichkeit auf sie schaut, einige entwickeln sogar Stolz auf ihr Stadtgebiet, an dem Menschen interessiert sind, die von sehr weit herkommen. Andere empfinden es als ausgesprochen störend, wenn die Touristen etwa nicht ihre Privatsphäre wahren, hemmungslos fotografieren oder sogar in ihre privaten Räume eindringen.

Steinbrink weiß von einem deutschen Touranbieter in einem Township in Afrika, der die Kinder des Slums mit Bonbons auf seinen Jeep lockt und damit wirbt, dass man Afrika nicht näher kommen könne als auf seinen Touren. Das ist in seinen Augen mehr als fragwürdig.

Und wie steht es um die Sicherheit In Südafrika ist vor einigen Jahren eine Touristin während ihrer Flitterwochen in einem Township erschossen worden, erzählt der Sozialforscher. Es folgten ein riesiger Aufschrei und die Diskussion über den Townshiptourismus. Kurze Zeit später stellte sich aber heraus, dass es ihr Mann selbst war, der es von langer Hand geplant und Auftragskiller engagiert hatte.

In der Regel seien die Touren sicher. Allein in einen Slum zu gehen, davon rät Steinbrink dennoch ab.

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