Er ist stets präsent. Sichtbar überall in Kapstadt. Majestätisch und mächtig. Ein einzig-artiger Felsen mit spiritueller Aura. Uralt, 600 Millionen Jahre.
Von Ludger Pooth – Der Tafelberg. Das Wahrzeichen der schönsten Stadt der Welt.
„Tafelberg!”, schrie stets der Matrose, der als erster den markanten Felsklotz entdeckte.
Es ist Ehrfurcht, die jeden beim ersten Blick ergreift. Perfekte Architektur, ein Wunder der Natur. Der Tafelberg verdient den Namen zu Recht. Wie ein gewaltiger Tisch thront er über der Stadt. Der portugiesische Admiral und Forscher, Antonio de Saldanha, der 1503 als erstes Europäer den Fuß an Land setzte, gab dem Felsen den Namen: Taboa de Caba, der Tisch am Kap. „Tafelberg!”, schrie stets der Matrose, der als erster den markanten Felsklotz entdeckte, wenn das Segelschiff nach monatelanger Fahrt von Europa die Spitze Afrikas erreicht hatte. „Dieser Ruf brachte dem Weitsichtigen eine Flasche Wein und 10 Gulden ein – seemännische Tradition bei einer Reise zum Kap. Tafel ist das niederländische Wort für Tisch. Denn 1652 begannen die Holländer mit der Besiedlung des Kaps.
Die einheimischen Khoi San nannten ihn den Hoerikwaggo, den Meeresberg. Denn das haben die Ureinwohner des südlichen Afrikas vor vielen Jahrtausenden gesehen: eine Insel. Den aufragenden Gipfel eines gewaltigen Massivs aus Granit und Sandstein unter dem Meer. Zweimal so groß wie heute. Geschnitzt von Gletschern, geschliffen von den Wellen und schließlich aufgeschoben von tektonischen Kräften. Als der Meeresspiegel sank, war der Tafelberg fertig.
Er ist heute der nördliche Teil einer 52 Kilometer langen und 16 Kilometer breiten Bergkette auf der Kap-Halbinsel, mit dem Kap der Guten Hoffnung am südlichen Ende. Es ist das Naturschutzgebiet des Table Mountain National Park. Der höchste Punkt des Tafelberges ist MacLear’s Beacon mit 1087 Metern am nordöstlichen Ende des Felsplateaus.
Das Erklimmen des Tafelberges ist eine sportliche Leistung, ganz gleich auf welchen Pfaden

Wer den Tafelberg wirklich kennen lernen will, muss hinauf. Und zwar zu Fuß. Aus allen Richtungen gibt es etliche Wanderwege und Kletterpfade in allen Schwierigkeitsgraden. Anstrengung und Schweiß werden belohnt. Die Wanderer erwartet eine einzigartige Flora und Fauna. Auf 6000 Hektar wachsen 1.400 Pflanzenarten, mehr als in ganz Großbritannien. Viele von ihnen sind endemisch, d.h. nirgendwo sonst auf der Welt zu finden. Fynbos, feiner Busch, wird die Kapvegetation genannt. Allein 250 Erika-Gewächse und Protea-Arten, zu denen auch Südafrikas Nationalblume, die Königsprotea, gehört. Zu Fuß ist die einzige Chance, die Tiere des Berges zu sehen. Denn sie sind scheu. Stachelschweine, Mungos, Antilopen, Paviane und Luchse leben im Naturschutzgebiet. Dazu eine Vielfalt von Bergeidechsen und Schlangen. Es ist auch die Heimat zweier besonderer Vogelarten: des Cape Sugerbird und des Sunbird mit seiner orangefarbenen Brust. Die Touristen auf dem Plateau sehen nur den Klippschliefer, auch Dassie genannt. Genetisch gesehen sind das die nächsten Verwandten des Elefanten. Da aber in der Evolution an irgendeiner Stelle etwas quer gelaufen ist, sehen sie wie eine Kreuzung aus Murmeltier und Berghase aus. Den Rotschwingenstar,

einen dreisten Vogel, kennt ebenso jeder Gast im Bergrestaurant. Einmal umdrehen, schon sind die Fritten weg.
Für die meisten Touristen ist ohnehin nur das Plateau des Berges das Ziel. Aber auch dieses Gebiet kann man ausgiebig durchwandern. Auf bequemen Pfaden von 30 Minuten bis zu dreieinhalb Stunden.
Die Aussicht von da oben ist bei gutem Wetter atemberaubend. Das Panorama reicht von Table Bay mit Robben Island bis zur False Bay und zu den Hottentots Holland Bergen bei Somerset West. Und weil das Plateau im beinahe rechten Winkel abfällt, kann man vom Tafelberg nicht nur bis in alle Ewigkeit, sondern auch in die Nachbarschaft schauen: Zu Füßen liegt die City Bowl mit dem Stadtzentrum, im Westen das Atlantic Seabord mit den Nobelorten

Camps Bay und Clifton. Die sehen von oben genau so grandios gestylt aus, wie sie sich unten geben.
Schon 1870 gab es Überlegungen zum Bau einer Seilbahn, aber erst 1912 folgten konkrete Vorschläge. Doch der erste Weltkrieg machte diese zunichte. 1926 lieferte schließlich ein norwegischer Ingenieur propere Pläne. Eine Seilbahngesellschaft wurde gegründet und drei Jahre Später fuhren die Gondeln. In den folgenden Jahrzehnten wurde die Bahn dreimal modernisiert.
Seit 1997 verkehren zwei schnieke Schweizer

Gondeln zwischen Tal- und Bergstation. Sie tragen 65 Personen und rotieren während der Fahrt um 360 Grad. Seit ihrer Installation lifteten die Gondeln 16 Millionen Passagiere auf den Tafelberg. Darunter viel Prominenz: etwa der britische Adel, angeführt von Königin Elizabeth II, und Prince Andrew, oder internationale Stars wie Tina Turner, Oprah Winfrey, Arnold Schwarzenegger und Michael Schuhmacher.
Der Berg will Respekt. Ihn zu unterschätzen, ist leichtsinnig. Jedes Jahr fordert der Tafelberg seine Opfer. Bergsteiger, Wanderer und Touristen in Badelatschen. Der Felsen ist gefährlich. Das Wetter kann schlagartig umschlagen und selbst im Hochsommer kann es schweinekalt werden. Vor allem wenn die Natur während der Sommermonate Wolken über den Berg legt. Jeder in Kapstadt weiß, dann beginnt der notorische Ostwind zu pusten. Oft bis zu 100 Stundenkilometer.

Feuchte Luftmassen von Südosten prallen auf den Tafelberg und steigen auf. Sie kühlen dabei ab und bilden Wolken, die auf der Nordwestseite des Berges, also zur Stadtseite, in warmen Fallwinden verdunsten. Das berühmte Tischtuch auf dem Tafelberg. Klasse anzusehen aus der Ferne. Aber kein Wanderer will dann im Berg hängen bleiben. Kalt, nix zu sehen und stürmisch.
Kluge Leute buchen einen erfahrenen Bergführer. Der führt zu den verborgenen Schönheiten des Tafelberges, abseits der Touristenpfade. Selbst Kapstädter wissen kaum etwas von fünf Stauseen, hinter dem Plateau. Und wenn, wenig über deren Geschichte.

Wasser war und ist im heißen Kapstadt stets ein Thema. Das wussten auch die Briten, die im 19. Jahrhundert das Kap regierten. Zwischen 1893 und 1902 bauten sie aus den Felssteinen des Berges die Stauseen zur Versorgung von Kapstadt. Sie sind eine Meisterleistung der Ingenieure von damals. Die Dämme versorgen noch heute die Stadt mit reinem Bergwasser aus der Regensaison des Winters. Es fließt im Berg durch ein ausgeklügeltes Tunnel- und Rohrsystem.

Für die Arbeiter wurde auf dem Rücken des Tafelberges ein kleines Dorf mit Kirche und Kneipe errichtet. Die verbliebenen Steinhütten sind heute Unterkünfte für Wanderer. In den Gärten gedeihen auch noch die Apfel- und Birnenbäume sowie Brombeeren, die von den Arbeitern vor über 100 Jahren angepflanzt worden waren.
Eine Seilbahn vom Kasteelport in Camps Bay aus beförderte die Lasten zum Bau hinauf. 25 Minuten brauchte eine Ladung von 431 Kilo. Einmal die Woche brachte die Bahn den Zahlmeister mit einem Korb voll Geld. Der Lohn für harte Arbeit. Aus dem englischen Cornwall wurde eine Schmalspurbahn eingeschifft. Die Dampf-Lokomotive kam in Einzelteilen, wurde auf den Berg gehievt und dort zusammengebaut. Sie steht heute im Museum der Kapstädter Wasserwerke auf dem Tafelberg. Täglich geöffnet. Jedoch nur für Besucher, die gut zu Fuß sind. Wanderzeit vier Stunden.
Wie gesagt: “Wer den Urgroßvater aller Berge wirklich kennen lernen will, sollte ein wenig klettern können.”