Friday, December 1, 2023
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Versöhnung im Weinberg

Die Kapmalaien sind das koloniale Erbe am Kap. Jahrhunderte schufteten sie auf den Weingütern, erst als Sklaven, später als billige Tagelöhner.

Von Ludger Pooth – Heute geben die Gutsbesitzer den farbigen Arbeitern Land und lassen sie eigenen Wein anbauen. Meist halbherzige, erfolglose Projekte auf politischen Druck oder aus schlechten Gewissen. Nicht so bei Solms Delta in Franshhoek, weil der dortige Besitzer ein ungewöhnlicher Mann ist: Mark Solms, ein Philanthrop mit Enthusiasmus, Einsicht, Geduld und Geld.

Es gibt viele wohlhabende Europäer, die sich am Kap Weingüter zulegen und deren vorherige Verbindung zur Branche sich darauf beschränkte, gerne Wein zu trinken. Bei Mark Solms, oder korrekt, Professor Mark von Solms, ist das nicht anders. Er ist Neurologe und Psychoanalytiker. Aber sein Vorfahre Johann Adam von Solms war Winzer, hatte vor sieben Generationen seine Weinberge im rheinhessischen Nackenheim verkauft und war ans Kap ausgewandert.

Mark Solms ist anders als die meisten neuen europäischen Gutsbesitzer, und das in vielerlei Hinsicht. Solms, Sohn einer sehr wohlhabenden Familie, ist in Namibia geboren, wuchs dort und in Südafrika auf, aber verbrachte den größten Teil seines Lebens in England, wo er sich auf dem Gebiet der Hirn- und Traumforschung internationalen Ruf erwarb. 2001 kehrte Solms nach Südafrika zurück. „Jetzt bin ich auch noch Bure und Bauer“, kommentiert er den Kauf des über 300 Jahre alten, aber damals heruntergekommenen Guts.

Wir sitzen an der langen Tafel im Esszimmer des liebevoll restaurierten Herrenhauses. Mark Solms ist nicht gerade der typische Landgutbesitzer. Ausgebeulte Baumwollhose, weißes T-Shirt mit bunten Handabdrücken seiner Kinder, das lange graue Haar eigensinnig abstehend. Seine graugrünen Augen fixieren einen, nicht unangenehm aber aufmerksam. Ein Psychoanalytiker eben – mit Leidenschaft zum Weinbau. Man könnte Mark Solms einen Traditionalisten nennen. Nicht nur im Weinbau, auch in der Wissenschaft knüpft er an Vergangenes an. Denn der „Enkel Freuds“, wie ihn manche nennen, versucht das fortzuführen, woran Sigmund Freud einst scheiterte: die psychoanalytische Deutungskunst mit der empirischen Neurobiologie zu verbinden. Jahrzehntelang waren sich diese Disziplinen spinnefeind. „Dabei geht es ihnen letztlich um dasselbe“, sagt Solms. „Beide wollen verstehen, wie der Mensch funktioniert.“

Mark Solms wollte beim Kauf des Weinguts die Familien verstehen lernen, die immer schon auf dem Gut arbeiteten und lebten, wie es in Südafrika eben Sitte ist: „Ich habe mit dem Kauf sozusagen sieben Familien mit erworben und mich dabei nicht wohl gefühlt.“ Als er ihnen seine weit reichenden Pläne vorstellte, war er von deren Desinteresse nicht überrascht. „Aag, net weer n nuwe Baas. Ach, nicht schon wieder ein neuer Boss.“ Solms wollte wissen, woher diese Attitüde kommt, dass sie seine Entscheidung zwar akzeptierten, aber eben nur deshalb, weil es eben immer schon so war. „Es ist zu einfach und zu rassistisch, es damit abzutun, dass die Farbigen eben so sind.“ Also ging der Psychoanalytiker mit wissenschaftlicher Methodik vor, suchte Ursachen und Antworten in der Geschichte. Die Tatsachen sind bekannt: Viele Mitglieder der heutigen farbigen Gemeinschaft in Kapstadt sind Nachfahren der Sklaven, die von der Holländisch Ostindischen Handelsgesellschaft vor 350 Jahren zumeist aus Malaysien geholt und zur Arbeit gezwungen wurden. 1834 schaffte die britische Kolonie am Kap die Sklaverei ab. Die meisten der nun freien Sklaven blieben, vermischten sich mit anderen, gründeten Familien und Existenzen. Ihre Nachfahren sind die so genannten Coloureds. Während der Apartheid waren sie Menschen zweiter Klasse. „Wie sollen sie mit diesem Hintergrund ein organisches Verhältnis zur Arbeit haben? Rechte und Pflichten, leistungsgerechte Entlohnung, Verantwortungsbewusstsein, Engagement, Loyalität?“, fragt Solms und liefert die harte Antwort gleich mit: „Viele haben eine gestörte Einstellung zur Arbeit. 350 Jahre können nicht in kurzer Zeit aufgearbeitet werden.“

Was unternimmt ein wohlhabender Philantrop wie Mark Solms? Er holt Wissenschaftler auf das Gut – Ethnologen, Historiker, Archäologen – und bindet seine Arbeiter und deren Familien in die Forschungen mit ein. Fazit: „Die Leute haben ihre eigene Vergangenheit ausgegraben.“ Denn die Erde am Kap ist ein Lesebuch der Geschichte. Auf Solms Delta fanden sie Relikte der San und Khoisan, der viele tausend Jahre alten Ureinwohner am Kap, sowie der ersten Siedler, deren Sklaven und späteren Gutsbesitzern. Steinerne Messer, Pfeilspitzen, Töpfereien, Geschirr, Werkzeuge, Porzellan und alte Mauerreste.

Die archäologischen Grabungsstätten können besichtigt werden. In einem Museum sind alle Funde – nach Epochen gegliedert – ausgestellt. „Wir müssen die Vergangenheit analysieren, um die Gegenwart zu verstehen und die Zukunft zu planen“, konstatiert Mark Solms.
Das war der Durchbruch. Die Familien der Gutsarbeiter verstanden dadurch den neuen Besitzer, den sie heute einfach nur den Professor nennen. Und sie hörten seinen Plänen zu. Da war die Rede von leistungsbezogenen Gehältern, Ausbildung, Krankenversicherung und einem Weingut mit Beteiligung. Nico Jansen war der Manager von Solms Delta. „So wie sie uns früher behandelt haben, wollte ich nicht mehr für einen Weißen arbeiten“, macht er klar. „Aber nach den ersten Gesprächen mit Mark, habe ich gemerkt, dass er es ernst meint.“

Nico Jansen war Manager der Treuhandgesellschaft der Arbeiter, welche die Anteile an dem Weingut hält. Er ist sich der Verantwortung und des Erfolgsdrucks bewusst: „Wir reden hier über einen zweistelligen Millionenkredit in Rand.“ Aber welche Bank gibt Farmarbeitern einen so hohen Kredit? Keine. Es sei denn, das Konzept stimmt. Nämlich das von Mark Solms und seinem Freund Richard Astor, Sohn des legendären Chefredakteurs der englischen Zeitung „Observer“, David Astor. Letzterer machte einst mit seiner notorischen Kritik an der Apartheid Südafrikas Zeitungsgeschichte. „Seiner Familie gehört das Nachbargut Lübeck“, erklärt Solms. Er überzeugte den Bruder im Geiste, Richard Astor, von seinen Plänen, und die beiden erwarben ein weiteres benachbartes Weingut, Deltameer. Solms: „Historisch betrachtet waren alle drei Güter früher mal eines.“ Solms und Astor gingen zur Bank, hinterlegten 76 Hektar Land als Sicherheit und die neuen Anteilseigner bekamen den Millionen-Kredit.

Landverteilung ist ein heikles Thema in Südafrika. Zimbabwe ist in dieser Hinsicht ein abschreckendes Beispiel. „Eine korrekte Landverteilung an die früher benachteiligte Bevölkerung geht nur über rechtmäßig erworbenen Besitz“, erklärt Solms. „Land ist teuer. Und Land an Menschen zu geben, die keine Ahnung von Landwirtschaft haben, führt zum Desaster. Besser ist es, sie in die Verantwortung zu nehmen und auszubilden.“ Nico Jansen und die Familien auf Solms Delta können die Meinung des Professors nur teilen.

Weine von Solms Delta

Alle Rebsorten auf Solms Delta stammen von der Rhône. Unter anderem Grenache Noir und Blanc, Viognier, Mourvrède und Carignan. Franschhoek hat dafür das ideale Klima: heiß, trocken und windig. 2004 ist der erste Jahrgang des Guts. Der Weinbau geschieht nach einer alten griechischen Methode. Vor der Ernte werden die Stiele gequetscht, um die Säure gefangen zu halten. Die Trauben trocknen dabei fast bis zur Rosine aus. Die Weine zeichnen sich durch einen hohen Alkoholgehalt aus. Allerdings ist dieses so genannte Amarone-Verfahren teuer, da 40 Prozent des Saftes verloren gehen.

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