Wednesday, December 6, 2023
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Auf 16 Seiten gegen Township-Vorurteile

Wie eine südafrikanische Schülerzeitung ihrem Stadtteil mediale Selbstbestimmung und den Nachwuchsjournalisten eine Perspektive gibt.

Von Christian Selz -Die Nervosität war Lihleli Kutase deutlich anzumerken. Die 9.-Klässlerin ist Redaktionsmitglied bei Walmer Own, der Schülerzeitung an der High School in Walmer Township. Obwohl sie als kleinste und zierlichste in der elfköpfigen Redaktionsmannschaft rein äußerlich wie das Küken des Magazins wirkt, weiß Lihleli sich durchzusetzen. Sie reißt Diskussionen an sich und macht Vorschläge zur Heftentwicklung. Schüchtern ist Lihleli nicht, zumindest in gewohnter Umgebung. Doch nun soll sie bei einem Recycling-Unternehmen anrufen. Irgendwo da draußen in Port Elizabeth, der Stadt, von der ihr Township zwar ein Teil ist, die aber doch wie eine andere Welt erscheint. In einem anonymen Büro wird da ein Geschäftsmann sitzen, den sie interviewen will. Die Sekretärin geht ran, der Chef ist nicht da. „Versuchen Sie es morgen noch einmal.“
So einfach ist das allerdings nicht. Walmer‚ Own hat kein Telefon. Die Schüler treffen sich jeden Mittwochnachmittag in einer Pressholzbaracke, die ansonsten als Klassenraum dient und außer einer Tafel sowie Tischen und Stühlen, von denen mindestens ein Viertel kaputt sind, wenig zu bieten hat. Für Internetrecherchen und Telefonate laufen die Jugendlichen nach Schulschluss die drei Kilometer zum Büro der deutsch-südafrikanischen Bildungsförderungsorganisation Masifunde im angrenzenden Mittelstandsviertel, einer ehemals Weißen vorbehaltenen Gegend. Walmer‚Äôs Own ist ein Teilprojekt von Masifunde, aber worüber sie schreiben, das entscheiden die Schüler ganz allein. Keiner kann ihnen reinreden, das sagt schon der Titel aus, den die Gruppe ihrem Magazin gegeben hat: Es ist Walmers  eigenes. Im Juli 2009 gestartet, soll es der Jugend von Walmer Township eine Stimme verleihen und das Selbstvertrauen der Schüler stärken.
Sören Krüger, der bei Masifunde ein freiwilliges Jahr absolviert und hinter den Kulissen die Organisation des Hefts stemmt, erklärt die Bedeutung: „Erst einmal ist die Förderung von Talenten an Township-Schulen völlig defizitär und außerschulische Aktivitäten werden fast überhaupt nicht angeboten.“ Durch das Schulmagazin üben die Schüler, mit der englischen Sprache sicher umzugehen, ohne die sich später nur schwer ein Job finden lässt. Sie lernen, sich kritisch mit ihrer Umgebung auseinanderzusetzen, andere Meinungen einzuholen und Themen tiefgehend zu analysieren. Es geht nicht nur darum, journalistischen Nachwuchs zu züchten Außerdem, sagt Krüger, steigt durch die Arbeit am Magazin das Selbstwertgefühl der Schüler. „Viele haben nicht viel, von dem sie sagen können ‚ÄöDas bin ich, das macht mich aus‚Äò, jetzt sind sie Schülerzeitungs-Journalisten.“ Das macht stolz und gibt Antrieb.
„Wie beharrlich und hartnäckig Lihleli bei ihrer Recherche war, zeigt beispielhaft, wie interessiert die Schüler sind und wie viel Kraft sie in ihre Arbeit stecken“, sagt Balisa Ntloko, die die allwöchentlichen Redaktionstreffen leitet. Lihleli hatte sich gefragt, was wohl mit den leeren Bierflaschen passiert, die sich containerweise vor den unzähligen Township-Kneipen auftürmen. Sie hat die langen Fußwege ins Büro nicht gescheut, Emails geschrieben und immer wieder nachgehakt. Letztendlich hat die Recycling-Firma sie zu einem Interview mit dem Geschäftsführer und einem Rundgang durch den Betrieb eingeladen. „Das war schon ein Erlebnis“, blickt sie freudestrahlend zurück. „Und auch sehr interessant für mich, denn ich wusste vorher nicht viel über Recycling, ich habe eine Menge gelernt.“ Doch es geht um mehr, als den messbaren Lerneffekt. „Schreiben“ sagt Lihleli für ein Mädchen ihres Alters eigentlich viel zu pathetisch, „ist für mich Freiheit und ein Weg, mich auszudrücken.“ Wer wie sie in einer provisorisch anmutenden Mischung aus Stein- und Blechwänden aufgewachsen ist, ohne Geld für den Besuch einer einigermaßen lernfördernden Schule, der mag sie besser verstehen können.
Auch für den 18-jährigen Amlindile Mapitiza ist das Schreiben für Walmer‚Äôs Own „eine Ehre, etwas auf das ich einmal zurückblicken werde.“ Der engagierte Kopf der Redaktionsgruppe macht gerade sein Matrik und will danach studieren. Zu Walmer‚Äôs Own ist er gestoßen, um auszuprobieren, ob Journalist ein Beruf ist, der zu ihm passt. Er schreibt gerade am zweiten Teil einer Serie über Hip-Hop und House Produzenten im Township, um zu zeigen, dass „hinter der Township-Fassade und den Stereotypen jede Menge Talente stecken“.
Hier sieht auch Krüger eine große Stärke des Magazins, der ersten Publikation überhaupt, die aus Walmer Township über Walmer Township berichtet. „Es geht nicht nur um Morde und Vergewaltigungen, wie in den Massenmedien, sondern auch darum, dass sich was bewegt. Die Jugendlichen zeigen so, dass man das Township ernst nehmen kann und dass dort nicht nur Negativereignisse stattfinden.“ Das Konzept geht auf, auch außerhalb der Schulmauern weckt das Magazin Interesse, die 150er Auflage ist regelmäßig in Windeseile verkauft. Um noch mehr zu drucken, müssen die Jugendlichen zunächst weitere Anzeigen einwerben, denn das 16-seitige Magazin wird mit einem Preis von drei Rand (30 Eurocent) absichtlich unter den Druckkosten verkauft, um es allen zugänglich zu machen. Auf der anderen Seite finanziert Walmer‚Äôs Own sich aber komplett selbst, auch die Anzeigen müssen die Nachwuchsredakteure akquirieren.
Anleiterin Ntloko gefällt die Eigenständigkeit des Projekts. „Walmer‚Äôs Own ist eine Initiative von Leuten aus dem Township für das Township – und etwas, das die Jugendlichen für sich selbst tun. Sie warten nicht darauf, dass ihnen irgendjemand von außen hilft.“ Die 19-Jährige studiert an der Nelson Mandela Metropolitan University Medien-, Kommunikations- und Kulturwissenschaft und hat erst vor anderthalb Jahren selbst ihr Matrik an einer Township-Schule abgelegt. Wegen ihrer guten Noten und ihres sozialen Engagements hat sie ein Stipendium der größten lokalen Wochenendzeitung bekommen und sich so den Traum vom Studium erfüllt. Sie kennt die Probleme der Schüler, weiß aber auch, dass sie es schaffen können. „Ich bin für die ein Vorbild“, sagt sie stolz.  Inzwischen schreibt sie als Teilzeit-Reporterin selbst für die Zeitung, dank derer sie studieren darf und gibt ihr Wissen an die Schüler weiter. Sie vermittelt Techniken und diskutiert journalistisches Arbeiten, aber das eigentliche Heft machen die Schüler selbst. „Das sind ihre Geschichten, aus ihrem Township – Geschichten mit denen sie tatsächlich verbunden sind.“ Der Mix wirkt von außen teilweise brutal. Es geht um die Talentshow in der Schulaula, Schul-Tipps für Neuankömmlinge oder Fußballvereine im Township, genauso aber auch um Teenager-Schwangerschaften, Alkohol-Missbrauch oder Gruppenzwang. Krüger fragt daher zu Recht: „Wer sollte diesen Themen besser auf den Grund gehen als die Township-Jugend selbst.“
Lihleli hält gerade die druckfrische fünfte Auflage von Walmer‚Äôs Own in ihren Händen – die erste mit 20 Seiten. Das Schülermagazin wächst, doch darum geht es in erster Linie gar nicht. Vorrangig ist Walmer‚Äôs Own ein Lernprojekt, dass den Jugendlichen etwas bringen soll. Lihleli ist jetzt schon begeistert. „Das ist eine neue Erfahrung, die ich für nichts anderes eintauschen wollte.“

Info: Die Jung-Redakteure von Walmer Own suchen ausrangierte, aber funktionstüchtige Laptops und Digitalkameras. Außerdem freuen sie sich über weitere Anzeigenkunden. Infos unter  HYPERLINK “http://www.masifunde.com” www.masifunde.com, Kontakt über HYPERLINK “mailto:walmersown@masifunde.de”walmersown@masifunde.de.

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